Konflikt muss sein

Syrien Der Bürgerkrieg ist entschieden und kann deshalb bis auf Weiteres nicht beendet werden
Ausgabe 15/2018
Israel fürchtet eine Nachkriegsordnung in Syrien, die auf einem Schulterschluss zwischen Damaskus und Teheran beruht
Israel fürchtet eine Nachkriegsordnung in Syrien, die auf einem Schulterschluss zwischen Damaskus und Teheran beruht

Foto: Lennart Preiss/MSC 2018/Getty Images

Die Einahme der Enklave Ost-Ghuta bei Damaskus zählt für die Assad-Streitkräfte zur militärischen Dividende der vergangenen Wochen. Sie konnten sich dank russischen Beistands gegen islamistische Gegner auf ähnliche Weise durchsetzen wie Ende 2016 in Ost-Aleppo. Solcherart Flurbereinigung bedurfte einer politischen Nachsorge, der sich die Präsidenten Putin, Erdoğan und Rohani mit ihrem Ankara-Gipfel vor Wochenfrist verschrieben hatten. Es wurde dabei das Konzept der vier Deeskalationszonen bestätigt, in denen es eine belastbare Waffenruhe geben soll. Womit Russland, die Türkei und Iran mehr für die UN-Resolution 2401 zur Befriedung Syriens tun als die ganze westliche Gemeinschaft zusammen.

Dass die drei Staaten ein Zweckbündnis vereint, das eine Stabilisierung Syriens vorantreibt, ist bemerkenswert. Was allein die Türkei und Iran trennt, sind Welten. Dies gilt nicht nur für die jeweiligen Systeme eines politischen Islam – in Ankara die Präsidialautokratie von Sunniten, in Teheran eine Theokratie von Schiiten –, sondern ebenso für die regionalmächtigen Ambitionen. Denen dient Präsident Erdoğan, indem er jeden Anflug von kurdischer Autonomie oder gar Staatlichkeit in Nordsyrien und im Nordirak unterbindet. Für Teheran sind geopolitische Akzente gesetzt, wenn aus der derzeitigen Militärpräsenz in Syrien eine dauerhafte Landbrücke in den Libanon wird, um der verbündeten (schiitischen) Hisbollah beistehen zu können. Das freilich will Israels rechtsnationale Regierung ebenso wenig hinnehmen wie eine Nachkriegsordnung in Syrien, die auf einem Schulterschluss zwischen Damaskus und Teheran beruht. Auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz trat Premier Netanjahu mit einem Metallstück auf, das er als Teil einer iranischen Drohne bezeichnete. Seine Luftabwehr habe ein solches Objekt am 10. Februar abgeschossen, nachdem es von einer Basis nahe dem syrischen Palmyra gestartet sei. „Mister Sarif“, so Netanjahu zum brüskierten iranischen Außenminister, „erkennen Sie das? Sie sollten, denn dies gehört Ihnen. Nehmen Sie es zurück mit einer Botschaft an die Tyrannen von Teheran!“

Geht Israel in Syrien gegen Iran vor, was durch Luftangriffe bereits geschieht, steht die israelkritische AKP-Regierung in Ankara vor einer heiklen Frage: Auf welche Seite soll sie sich schlagen? Bleibt es bei der Nähe zu Moskau und Teheran, wäre die NATO-Mitgliedschaft relativiert und ein temporäres Bündnis über die strategische Allianz mit dem Westen gestellt. Russland kann nach deren verstörendem Gebaren in der Skripal-Affäre eine solche Herausforderung der NATO nur recht sein. Zudem hat die türkische Armee in Nordsyrien Gegenden im Visier, in denen US-Militär als Schutzmacht der kurdischen Demokratischen Kräfte Syriens (DKS) disloziert ist. Es hieße dann NATO gegen NATO, Partner würden zu Gegnern. Unter anderem deshalb dürfte Wladimir Putin den türkischen Vormarsch auf Afrin toleriert haben. Erdoğans antikurdische Obsession ist geeignet, ein Disengagement der Amerikaner zu beschleunigen. Auch wenn sie nach dem mutmaßlichen Giftgaseinsatz in Duma nochmals zu einem Luftschlag ausholen.

Ungeachtet dessen gilt: Syrien hat für Donald Trump keine solche Priorität wie die Konfrontation mit Iran, sollte er im Mai den Atomvertrag kündigen. Dann besäße Teheran einen Grund mehr, in Syrien zu bleiben. Den USA lässt sich auch dadurch Paroli bieten, dass dessen Alliierter Israel mit einem Zwei-Fronten-Konflikt – an der Grenze zu Syrien wie der zum Libanon – unter Druck gesetzt wird. Allerdings wird diese Art der Selbstbehauptung einem Frieden in Syrien kaum zuträglich sein. Mit anderen Worten, es zeugt vom verheerenden Zustand der internationalen Beziehungen, wenn ein Konflikt erst befriedet werden kann, sofern er sich nicht mehr für andere Konflikte instrumentalisieren lässt. Genau genommen: niemals.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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