Können Koma-Patienten Krieger sein?

Korea Kim Jong Il soll seine Armee „in Bereitschaft“ versetzt haben, während sich die USA demonstrativ hinter Südkorea stellen und demnächst Militärmanöver abhalten wollen

Wer glaubt, was hierzulande über Nordkorea erzählt und geschrieben wird, ist vor Irritationen nicht gefeit. Hat man es mit einer Art Wirtschaftswunder zu tun? Nach übereinstimmender Expertise von außen ist das Land seit Jahrzehnten vom ökonomischen Dauerkollaps befallen, Hungersnöten ausgesetzt, von latentem Ernte- und Produktionsausfall heimgesucht, ohne regelmäßige Stromversorgung und mit Energieressourcen ausgestattet, die am Versiegen sind. Wie bei solcherart Miss- und Notständen Staat und Gesellschaft nicht längst zusammengebrochen sind, erscheint unerklärlich – oder phänomenal. Auch der Präsident dieses Landes muss ein Phänomen sein. Seit seiner Amtsübernahme 1994 ist Kim Jong-Il nach fester Überzeugung aller auswärtigen Korea-Beobachter schwer bis sterbenskrank, wenn nicht längst komatös. Vermutlich schon nicht mehr er selbst, sondern ein anderer. Nur soviel steht fest, es gibt da einen „geheimnisumwitterten, undurchschaubaren Führer im grünen Mechanikergewand“ (NZZ). Nur, wer steckt hinter dieser Mimikry des Bösen?

Der Logik zuliebe sei die Frage erlaubt, wie ein Land mit solch desaströser Ökonomie und solch moribundem Personal einen Waffengang mit Südkorea riskieren sollte, der auf nicht anderes als eine Konfrontation mit den USA hinauslaufen würde? Oder ist Nordkorea nach Ansicht seiner externen Leichenbeschauer schon so viele Tode gestorben, dass es auf den einen Selbstmord auch nicht mehr ankommt? Der könnte provoziert oder begangen worden sein, wenn die südkoreanische Korvette Cheonan Ende März tatsächlich unter den Umständen, in jenem Seegebiet und von den Marineeinheiten angriffen wurde, wie der vorläufige Report der internationalen Ermittler ausweist. Eine Kommission, die mit Experten aus Südkorea, Japan und den USA bestückt ist. Staaten also, deren Regierungen die nordkoreanische Volksrepublik vor Jahren Schurken-Staaten nannten und noch immer wie einen Paria behandeln.

Man erinnert sich unwillkürlich der seinerzeit von US-Experten zusammen gehäuften Beweise, die der damalige Außenminister Colin Powell am 5. Februar 2003 dem UN-Sicherheitsrat präsentierte, um Saddam Hussein des Besitzes chemischer und biologischer Massenvernichtungswaffen zu überführen. Und zum Abschuss freizugeben. Das Gros der Verbündeten ließ sich von diesen Lügen überzeugen und marschierte der US-Armee hinterher, als es in den Irak hinein ging.

Wenn der „Fall Cheonan“ so klar ist, darf dann die Führung in Peking weiter eine schützende Hand über Kim Jong-Il halten, wird jetzt allenthalben gefragt und übersehen, dass nur das Agreement der jeweiligen Schutzmächte USA und China einen Zusammenstoß der koreanischen Staaten aufhalten kann. Wieder einmal erweist sich das Gedächtnis für einst erlittenes Leid als erstaunlich kurz. Als nach dem Krieg zwischen 1950 und 1953 von der koreanischen Halbinsel kaum mehr als verbrannte Erde blieb, waren zwei Millionen Zivilisten umgekommen – eine Million nordkoreanische und chinesische Soldaten sowie 250.000 südkoreanische Militärs und 37.000 GIs gefallen. Gehen wir doch einfach davon aus, dass Nordkorea weder von allen guten Geistern noch allen Freunden verlassen ist, was seinem Willen zur Selbstbehauptung nicht schaden und seinen Feinden doch recht sein sollte. Denn – wer will schon, dass ihm solch fauler Apfel – siehe oben – in den Schoß fällt?

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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