Korridor durch Kurdistan

Türkei Das Land ist stärker in den Irak-Konflikt verstrickt, als es den Anschein hat

Die seit einem Jahr in Ankara regierende islamische Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) wird des Lavierens nicht müde, wenn es zum Schwur kommt, ob man sich notfalls im Irak auch militärisch engagieren sollte. Weder unter dem Übergangspremier Abdullah Gül, der die Regierung der AKP kurz nach deren Wahlsieg führte, noch unter dem jetzigen Regierungschef und Parteiführer Recep Tayyip Erdogan wurde das je vollends ausgeschlossen. Im Gegenteil: Die Verlegung türkischer Truppen in den Irak ist 2003 zweimal gescheitert, aber nicht weil die regierenden Islamisten plötzlich ihre eigene Courage zu scheuen begannen, sondern politische Umstände zum Rückzug zwangen.

Von einem latenten Geltungsdrang oder Eroberungsdruck zu schreiben, wäre gewiss übertrieben, dazu geriet die Politik der AKP in den vergangenen Monaten nicht konsistent und souverän genug, sondern war stattdessen voller Drehungen und Wendungen. Aber die Begehrlichkeiten eines sich als Regionalmacht betrachtenden, von nationalistischen Motiven getriebenen Frontstaates, den ein aus der regionalen Balance gekippter Irak nicht untätig lässt, waren und sind kaum zu übersehen.

Noch Anfang des Jahres schien außer Frage zu stehen, dass mehr als 61.000 US-Soldaten samt Ausrüstung in der Südosttürkei stationiert werden, um von dort im Kriegsfall in den Irak vorzustoßen. Die türkische Regierung hatte sich mit den USA auf ein Junktim verständigt: die Präsenz sollte durch ein mehrere Milliarden Dollar schweres Hilfspaket einschließlich eines Überbrückungskredits für anstehende Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Weltbank vergolten werden. Außerdem drängte es Ankara zu einem eigenen, nicht nur symbolischen Part in der "Koalition der Willigen". Man wollte bei einer Intervention in den nördlichen Irak einmarschieren und die kurdischen Peshmerga-Kämpfer daran hindern, sich in den erdölreichen Provinzen Mossul und Kirkuk festzusetzen. Bei einer nicht auszuschließenden Kurden-Autonomie oder gar Kurden-Republik nach einem Sturz Saddam Husseins würden diese Territorien - daran war nicht zu zweifeln - ein Faustpfand sein. Sollte ein in seiner territorialen Integrität erschütterter irakischer Staat zur Unabhängig der Kurden führen, mutmaßte man in Ankara, könnte das auch die eigenen Kurden in Südostanatolien aus ihrer Lethargie reißen. Keine Frage, dass einer solchen Herausforderung am besten durch eine Militärpräsenz im Irak zu begegnen war.

Als allerdings am 1. März das Parlament diesen Kurs absegnen sollte, kam es zum Eklat. Das Stationierungsgesetz für die US-Truppen verpasste die erforderliche absolute Mehrheit um drei Stimmen, intern war von 99 Gegenstimmen der 363 AKP-Parlamentarier die Rede. Die USA zeigten sich irritiert und deuteten das Votum zunächst als taktisches Manöver, mit dem die türkische Seite den Preis ihres Engagements hochtreiben wolle. Tatsächlich aber weigerten sich namhafte muslimische Politiker, die Verantwortung für eine türkische Front im Krieg gegen ein muslimisches Land zu übernehmen, obwohl der Nationale Sicherheitsrat - sprich: die Generalität - insistiert hatte, den USA bei einem Feldzug gegen Saddam keine Hindernisse in den Weg zu stellen. Es blieb dabei, der erste Anlauf einer AKP-Regierung zum Ausfallschritt in den Irak war gescheitert.

Die nächste Gelegenheit bot sich vor zwei Monaten, als die zwischenzeitlich im Irak mit einem veritablen Guerilla-Krieg konfrontierte US-Besatzungsmacht die Verbündeten um Entlastung bat. Premier Erdogan stellte - nach den "Irritationen vom März" - 10.000 Soldaten in Aussicht. Diesmal hatte das Parlament mehrheitlich nichts einzuwenden, nachdem die Entscheidung zu einer Frage der Bündnisloyalität gegenüber Amerika und des nationalen Prestiges hochstilisiert worden war. Doch prompt legte der Provisorische Regierungsrat in Bagdad sein Veto ein. Man erinnerte an das Reich der Osmanen, die das Gebiet des heutigen irakischen Staates von 1534 bis 1918 im Griff hielten - und nun in Gestalt türkischen Militärs wiederkehrten. Diese Soldaten würden wie die Amerikaner und Briten das Stigma feindseliger Eroberer tragen, waren sich sunnitische und schiitische Mitglieder des Rates einig.

Außerdem wollte die türkische Armeeführung erneut im Nordirak aufmarschieren, und sprach von einem "militärischen Korridor", den man brauche, um die Sicherheit der eigenen Soldaten zu garantieren. Das zielte auf eine Zweiteilung der Kurden-Region, wie das schon im März kalkuliert war. "Lohnt es sich wirklich, auch diesen Teil unseres Landes zu destabilisieren?" hatte daraufhin Hoshyar Zebari - als kurdischer Politiker Außenminister des Regierungsrates in Bagdad - gefragt. So blieb den USA nichts anderes übrig, als dankend abzuwinken und Ankara auf später zu vertrösten. Ein kurz erwogener Kompromiss, türkische Truppen tief im irakischen Westen an der Grenze mit Syrien zu dislozieren, wies Ankara brüsk zurück - soweit in den toten Winkel des Konflikts wollte man sich nicht abdrängen lassen. Somit war vorerst auch die zweite "Chance" vertan, auf die Geschicke des Nachbarn Einfluss zu nehmen.

Kaum jemand wird bestreiten, dass die türkische Regierung - noch dazu eine von islamischen Politikern geführte - einen schwierigen Spagat zwischen ihrer Herkunft und den Bündnispflichten zu bewältigen hat. Um so mehr verblüfft die demonstrative Nähe zu Israel. Die Beziehungen zwischen Tel Aviv und Ankara sind seit Jahren so intensiv wie pragmatisch, offenbar sollen sie der türkischen Seite das Gefühl verschaffen, hier begegneten sich zwei Regionalmächte auf Augenhöhe.

Unter diesen Umständen sollte sich die EU wirklich ernsthaft fragen, ob sie mit einem Land Beitrittsverhandlungen aufnehmen will, das es nicht an Bereitschaft fehlen lässt, den im Irak fortdauernden schweren Bruch internationalen Rechts durch eigene Militärkontingente zu sanktionieren.


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