Kreuz für Russland

Kommentar Abstimmung in Tschetschenien

Mit einem mutmaßlich eindrucksvollen Affront meinte der Europarat, das Verfassungsreferendum in Tschetschenien quittieren zu müssen. Die verweigerten Wahlbeobachter sollten der russischen Führung, besonders Wladimir Putin, offenbar bedeuten, dass man diesem Votum nicht nur Skepsis, sondern gar Ablehnung zuteil werden lässt. In den Tagen des Irak-Krieges und amerikanischer Mammut-Verbrechen ein lächerliches Gebaren. Die Präsenz einiger Beobachter in Grosny wäre gewiss nicht als Akzeptanz des Verfahrens missverstanden worden.

Doch davon abgesehen, Tschetschenien-Appelle aus Brüssel oder Straßburg sind nicht unbedingt das Überzeugendste, was sich eine unbeirrbare Verantwortungsethik abzuringen vermag. Ideen zu einer auf realistischen Optionen beruhenden politischen Lösung bleiben aus dieser Richtung hingegen rar. Die stereotype Floskel, Putin solle seine 80.000 Soldaten zurückziehen, gewinnt durch stete Nachauflage nicht an Schlagkraft. Warum auch soll sich die russische Armee auf fremden Wunsch von eigenem Gebiet zurückziehen und es möglicherweise einer fundamentalistischen Spezies überlassen, die sonst in Afghanistan, in Pakistan, im Jemen oder wo auch immer als bekämpfenswerte Inkarnation des Bösen gilt? (Das Wort vom »Kreuzzug« gegen die islamistische Guerilla im Kaukasus war aus dem Kreml noch nicht zu hören.)

Der NATO-Staat Türkei drangsaliert seit Jahrzehnten seine kurdische Minderheit und okkupiert gerade den Nordirak - allerdings, ohne Beobachter des Europarates geladen zu haben. Da war Moskau konzilianter. Und überhaupt: wie sonst als unter kollektiver Verantwortung von Russen und Tschetschenen soll die Tragödie im Kaukasus beendet werden? Vielleicht unter Federführung der Europäischen Union? In diesem Fall sollte man alle am Konflikt Beteiligten aufrichtig bedauern. Die knieweiche Erklärung des jüngsten EU-Gipfels zum amerikanisch-britischen Überfall auf den Irak entzieht dafür jede Legitimation. Auch sind die Fähigkeiten der europäischen Diplomatie nicht über jeden Zweifel erhaben. Daher erscheint allein eine innerrussische Lösung sinnvoll, weil realistisch.

Nach dem mehrheitlichen Ja der Tschetschenen zum Verbleib in der Föderation sollte Präsident Putin dort ansetzen, wo Alexander Lebed als Emissär Boris Jelzins am 31. August 1996 schon einmal stand: beim »Vertrag von Chasawjurt«, der eine tschetschenische Autonomie in den Grenzen Russlands in Erwägung zog. Lebed scheiterte danach an den Falken beider Seiten - an einer sich brüskiert gebenden russischen Generalität, die innenpolitisch nur wichtig blieb, solange im Kaukasus gekämpft wurde, und an den radikalislamischen Prätorianern des Shamil Basajew, die vom wahhabitischen Gottesstaat träumten. Diesen Lagern muss Putin eine Politik ohne Krieg entgegensetzen, indem er das Vertrauen der tschetschenischen Bevölkerung gewinnt - die Chance dazu ist durch das Referendum nicht kleiner geworden.

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