Krieg der Worte

Karzai im Widerstand Der afghanische Präsident läuft seinen amerikanischen Gönnern immer mehr aus dem Ruder und wehrt sich gegen die nächsten Militäroperationen der US-Armee

Hamid Karzai beißt in die Hand, die ihn füttert, hält und hebt. Sein Krieg der Worte gegen die Amerikaner, das Ausland und den Westen lässt nur einen Schluss zu – da steht einer im politischen, vielleicht auch physischen Überlebenskampf. Seine Hoffnung auf einen Sieg von US-Armee und vereinten NATO-Formationen über die Taliban schwindet offenkundig und unaufhaltsam. Und auch wenn es dazu käme, wäre das ein Triumph von Fremdherrschaft und Besatzung. Alles andere als eine Selbstbefreiung der Afghanen von radikalislamischer Herausforderung. Zu fragen wäre überdies, welche Restposten an Besatzung Afghanistan zu erdulden hätte, sollten die Taliban und ihre Verbündeten jemals vernichtend geschlagen sein. Die USA intervenierten im Oktober 2001 schießlich nicht aus Nächstenliebe und Mitleid, sondern weil sie für ihren imperialen Feldzug gegen den Terror Feinde und Ziele brauchten.

Realistischer, letzten Endes zukunftsträchtiger als der unbedingte Schulterschluss mit seinen Schutzmächten scheinen für den afghabnischen Präsidenten daher Szenarien, bei denen die Aufständischen zu Verhandlungen motiviert werden, die zunächst auf eine Waffenruhe hinauslaufen und spätere Arrangements zur Machtteilhabe einschließen. Nur schwinden die Chancen für Karzai, die Federführung bei derartigen Agreements zu beanspruchen, je öfter, je massiver und je unerbittlicher die USA zu weiteren Militäroperationen in seinem Land ausholen, bei denen zivile Opfer und Kollateralschäden zu beklagen sind. Dass er seinen Widerstand in einem Moment artikuliert, da die US-Armee zu einer neuen Offensive in Kandahar ausholt, ist deshalb nur naheliegend und logisch. Auch wenn General McChrystal nicht müde wird, für die "Aufstandsbekämpfung" seinen Ansatz des „clear, hold and build“ zu reklamieren – Karzai ist nur glaubwürdig, wenn er jetzt handelt. Er kann wählen zwischen fortschreitender Delegitimation und zurückgewonnener Legitimation. Er muss um seiner selbst willen auf ein Nachkriegs-Afghanistan schielen, weil ihn das heutige – vom Krieg gezeichnete – zum Statthalter und Paladin stempelt. Will er diesem Stigma entkommen, muss er seinen Gönnern entkommen. Und er versucht es.

Für die Amerikaner und ihre Alliierten wirft das einmal mehr die Frage nach dem Sinn ihrer Präsenz und ihres Krieges auf – nach dem Sinn einer Strategie, die mit aufgestockten Truppenkontingenten und technologischer Überlegenheit nach militärischem Overkill strebt. Besitzt Hamid Karzai politischen Instinkt und Selbsterhaltungstrieb, kann er dem nur abschwören, bevor es endgültig zu spät ist. Hier findet kein Spiel mit verteilten Rollen statt, hier sind Machtkämpfe im Gange, wie sie den Amerikanern aus der Zeit des Vietnam-Krieges nicht unbekannt sein dürften. Auch aus südvietnamesischen Partnern wurden zuweilen Dissidenten, was zu erzwungenen Demissionen führte oder schlimmer endete. Präsident Ngô Đình Diệm etwa bezahlte im November 1963 für Alleingänge und Eigenmächtigkeiten mit dem Leben.


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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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