Kriegsgrund: Erdöl

RUSSLAND / TSCHETSCHENIEN Der Tschetschenien-Krieg und ein »Vertrag des Jahrhunderts«

Die erneuten Militärschläge russischer Truppen gegen das Territorium der auf Unabhängigkeit drängenden Kaukasusrepublik Tschetschenien lassen sich nicht allein mit der faktischen Kriegserklärung einer islamistischen Guerilla an die Russische Föderation begründen und der gespannten Lage in Dagestan. Ein weiterer entscheidender Grund für das Vorgehen Moskaus ergibt sich aus dem internationalen Erdölgeschäft. Als Schlüsselereignis muss dabei das Abkommen vom 10. September 1994 zwischen Aserbeidschan und der Azerbeijan International Operating Company (AIOC), einem Konsortium westlicher Mineralölkonzerne (Exxon, Amoco, Delta Hess, Itochu, BP, Socar, Pennzoil) betrachtet werden. Drei Monate, nachdem der »Vertrag des Jahrhunderts« unterzeichnet war, marschierten russische Verbände erstmals auf Grosny.

Bei einer Investitionszusage von 7,7 Milliarden Dollar erhielt die AIOC seinerzeit das Recht zur Exploration und Ausbeutung der Ölfelder rings um die aserbeidschanische Metropole Baku für die nächsten 30 Jahre zuerkannt. Kalkuliert wurde mit einer Fördermenge von 500 bis 600 Millionen Tonnen. Von diesem Deal sah sich Russlands halbstaatlicher Öltrust Lukoil zunächst ausgeklammert.

Erst nach zähen Verhandlungen wurde dem Unternehmen eine Beteiligung von zehn Prozent am »Joint Venture von Baku« zugestanden. Doch auch mit dieser Konzession blieb der Einfluss Moskaus auf die Vermarktung des Kaspi-Öl eher marginal. Eine Möglichkeit, dies zu korrigieren, ergab sich allein aus Russlands Rolle als Transitland für die Ölexporte aus Aserbeidschan. Mitte der neunziger Jahre führte die zunächst einzige Pipeline über 1.500 Kilometer an den Nordhängen des Kaukasus vorbei durch die Teilrepubliken Dagestan und Tschetschenien zum russischen Schwarzmeerhafen Noworossisk - die sogenannte »Nordroute«. Erst 1998/99 ergänzt durch die »Westroute«, eine Trasse die von Baku über 835 Kilometer zum georgischen Hafen Supsa führt und weitgehend mit Geldern der AIOC gebaut wurde. Das erste aserbeidschanische Öl erreichte am 25. März 1999 die Küste Georgiens. Konsequenz: Die »Nordroute« verlor an Bedeutung. Doch dies nicht nur wegen der Verbindung Baku - Supsa. Die Trasse Baku - Noworossisk stand 1999 mindestens für drei oder gar vier Monate nicht zur Verfügung. Kampfhandlungen in Tschetschenien und Dagestan, Streitigkeiten zwischen Moskau und Grosny über Transitgebühren, technische Anfälligkeiten waren die Gründe dafür. Außerdem häuften sich Hiobsbotschaften aus der Förderregion selbst.

Nach der bisherigen Exploration wird vermutet, dass die Reserven des Kaspi-Beckens geringer sein könnten als angenommen. 1998 kam Aserbeidschan nur auf die recht mäßige Jahresförderung von 9,06 Millionen Tonnen Rohöl. Insofern könnten die AIOC und andere Betreiber bald verminderten Transportbedarf signalisieren. Um so mehr braucht Russland einen störungsfreien Betrieb der »Nordroute« nach Noworossisk, (zumal auch andere Alternativen geplant sind), eine »Befriedung« Tschetscheniens sollte dafür die entscheidende Voraussetzung sein. Wenn die misslingt, zeichnet sich für Moskau im Kaukasus eine weitere empfindliche Niederlage ab.

Allerdings haben die AIOC, und andere Konglomerate immer wieder betont, neue Routen nach ökonomischen Kriterien bauen und sich nicht politischen Motiven unterwerfen zu wollen.

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