Kugelfang Kandahar

Weihnachtsgeschichte für Afghanistan Warum Bush nichts schuldig bleibt

Zuweilen scheint es nützlich, einen Film noch einmal auf Anfang zu fahren, um zu sehen, wie alles begann. Kurz nach dem 11. September hatte demnach der stellvertretende US-Verteidigungsminister Wolfowitz einer Sehnsucht nachgegeben und erklärt, es gehe jetzt nicht allein darum, "Menschen gefangen zu nehmen, sondern helfende Systeme auszuschalten und Staaten auszulöschen, die Terrorismus unterstützen". Man denkt an Afghanistan, um zu wissen, dass es tatsächlich so gemeint war. Schon damals allerdings hatte die Vergeltungsrhetorik aus Washington eine zivilisierte, das Barbarische stets fein abschmeckende Gesellschaft hierzulande kaum aus der Reserve locken können. Die Pulverisierung afghanischer Städte durch US-Kampfflugzeuge vermag es ebensowenig. In gewissen Weltregionen gilt ein Menschenleben eben nicht als Menschenrecht.

So gerät dieser Tage auch eher beiläufig der Satz in die Nachrichtentexte, wonach bei der pausenlosen Bombardierung von Kandahar Tausende ums Leben gekommen seien. Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit. Der Krieg muss eben auch auf diesem (Toten-) Feld zu seinem Recht finden. Der Clash of Terrorism - die zeitgemäße Spielart des Clash of Civilizations - produziert seine Killing Fields. Ja, und? Soll "die Welt" deswegen vor dem Terrorismus kapitulieren?

Die USA sorgen schließlich mit jedem weiteren Tag ihres Luftkrieges dafür, dass ihnen vom Feind mindestens soviel erhalten bleibt wie vom eigenen Spiegelbild. Die Innigkeit, mit der sich der amerikanische Staat dem islamistischen Terror verpflichtet fühlt, greift schon ins Biblische. Bush bleibt "der Welt" nichts schuldig, "was will der Hölle Schrecken nun ...", dröhnt die Weihnachtsgeschichte. Und wird die den Afghanen nicht gerade so buchstabengetreu erzählt, wie es nur geht?

Viele der erklärt linken, traditionell kritischen Begleiter der amerikanischen Politik verhehlen nicht ihre Freude über das Augenmaß, mit dem George Bush dabei operiert. Womit hatten sie gerechnet? Mit dem Abwurf von Atombomben auf Kandahar oder Kabul? Dem Einsatz eines riesigen Landheeres, das für CNN tapfer die Computersimulationen von Tora Bora optimiert, damit die Frage nach eigenen Verlusten überblendet werden kann? Zeigt uns der Verzicht aufs Apokalyptische, welche Bändigung das Militärische erfährt, wenn US-Alliierte aus Europa um ihren symbolischen Beitrag - ihr Notopfer am Altar der Zivilisation - nicht verlegen sind? Man kann durchaus genügend Phantasie entwickeln, um sich das elende Sterben eines Krieges nicht vorstellen zu müssen. Was natürlich entschuldbar ist, weil es über diesen Krieg bekanntlich noch weniger zu wissen gibt als über seine Vorgänger. Nicht einmal die täglichen Mitteilungen über den mutmaßlichen Aufenthaltsort Bin Ladens schienen sicher. Sicher war nur, dass sie bombardiert wurden, sobald ein Verdacht aufkam. Ein Prinzip, das viel von der inneren Motorik des Kreuzzuges gegen den Terror offenbart. Sie wird nicht leiden, wenn der Skalp Bin Ladens vorgezeigt werden kann. Anti-Terror braucht Trophäen, Terrorismus Märtyrer, wie uns Israelis und Palästinenser täglich versichern.

Also stehen nächste Kriege bevor, denn noch ist die Frage offen, ob der Zivilisations- und Wohlstandsanspruch des Westens nicht genau so sicher sein muss, wie die Vereinigten Staaten nach dem Tod Bin Ladens sicher sein wollen. Man wäre an der Schwelle zu einer Weltordnung, die durch nichts mehr erschüttert werden will - es sei denn durch sich selbst. Und das gründlich. Wahrscheinlich gibt es ein Menschenrecht auf Verfolgungswahn, das entschlossen verteidigt werden muss. Paranoia als Überlebensprogramm, auch "wenn die stolzen Feinde schnauben" - es weihnachtet sehr.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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