US-Außenpolitik im postamerikanischen Zeitalter zu betreiben, heißt das zwangsläufig, Amerikas Führung in der Welt zu erneuern? Joe Bidens Außenminister Antony Blinken bejaht das, lässt aber offen, wie realistisch dieser Anspruch ist, und wozu er taugen soll.
Als Barack Obama vor genau zwölf Jahren antrat und den republikanischen Vorgänger Bush beerbte, hatte sich die imperiale Ambition in einem weltumspannenden „Krieg gegen den Terror“ erschöpft. George W. Bush hatte nach 9/11 in der religiös anmutenden Aufwallung eines Berufenen gehandelt, der das „Böse“ in der Welt treffen und aus derselben verbannen wollte.
Auch wenn sie solcherart missionarische Inbrunst nicht teilten oder zumindest bezweifelten, wurde den westlichen Verbündeten Gefolgschaft abverlangt. Sei es bei der Intervention gegen Afghanistan (2001) oder gegen den Irak (2003). Für die anschließend etablierte Besatzungsmacht galt das gleichermaßen. Bush entledigte sich seines selbstgestellten Auftrags mit einem Hang zur unilateralen Anmaßung.
Was Barack Obama korrigierte, jedoch nichts daran ändern konnte, dass die USA bis heute daran zu tragen haben. In den zurückliegenden Tagen ist fast untergegangen, dass der scheidende Präsident Trump mit einer seiner letzten Orders das weitere Abschmelzen des US-Kontingents am Hindukusch verfügt hat. Es verbleibt eine Restpräsenz von 2.500 Soldaten, deren Tage in Afghanistan ebenfalls gezählt sein dürften.
Notorischer Reflex
Bei allem, was man Donald Trump vorwerfen kann – es gebrach seiner America-First-Obsession an globalem Geltungsdrang. Sein Rückzug erinnerte an einen notorischen Reflex, er galt internationalen Abkommen genauso wie regionalen Konfliktherden, er resultierte aus der Lust an manischem Eigensinn, aber auch sabotierender Provokation.
Die Folgen sind nicht zu unterschätzen. Womöglich hat Trumps kategorische Weltverweigerung bewirkt, dass die Weltzustände über die USA hinweggegangen sind. Schließlich wollte die Trump-Regierung während der vergangenen Jahre ihren eigenen Orbit auskosten. Das heißt, Präsident Biden und seine Crew können sich zur globalen Zusammenarbeit bekennen, soviel sie wollen: Die multipolare Welt von heute garantiert nicht automatisch eine ebensolche Kooperation.
Die neue US-Administration wird sich arrangieren müssen: mit gewichtiger Konkurrenz (China, Russland, die EU, die Golfstaaten) sowie beschränkten Möglichkeiten. Der Einbruch in die Reservate einer globalen Wirkmächtigkeit Amerikas ist nicht unwiderruflich, aber er hat unwiderruflich stattgefunden. Es hat sich mit "America First".
China wird in seinem außenwirtschaftlichen Expansionsdrang weiterhin unbeirrbar sein und die Rivalität mit den USA dort suchen, wo es ebenbürtig oder überlegen ist. Betrachtet man allein das Vermögen, die Pandemie zu bewältigen als ein Zeichen für den Wettbewerb der Systeme, hat die Volksrepublik bewiesen, wie effizient und erfolgreich sie agieren kann, treten Herausforderungen dieses Formats auf.
Disziplinierende Wirkung
Die USA wie alle anderen westlichen Staaten haben den Nachweis labiler Krisenresistenz und damit latenter Verwundbarkeit erbracht. Es fehlt ihnen am kollektiven Willen und dem Mut zur Machtvertikale, um angemessen zu reagieren, wenn eine Naturkatastrophe wie das Corona-Desaster eine ganze Gesellschaft befällt.
Die chinesische Volkswirtschaft hat im Vorjahr als einzige Ökonomie weltweit ein Wachstum von 2,3 Prozent zustande gebracht, legt man das Bruttoinlandsprodukt zugrunde. Zum Vergleich: Deutschland muss ein Minus von 5,0 Prozent verkraften, die Weltwirtschaft insgesamt von 4,4 Prozent, besagen vorläufige Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF). Allein daraus ergibt sich für die USA kein Führungsmandat als Weltmacht, sondern eher eine disziplinierende Wirkung im machtpolitischen Zweikampf.
Antony Blinken wäre gut beraten, weniger auf die inzwischen übliche Twitter-Diplomatie zu setzen, die China in der Hongkong-, Tibet- oder Menschenrechtsfrage zu stellen glaubt. Wer sich damit versucht, stößt auf stoischen Gleichmut. China beharrt bei humanitären Fragen ebenso auf unbedingter Souveränität wie in seiner Klima- und Umweltpolitik, bei der die Volksrepublik den USA dank der vier Trump-Jahre inzwischen erkennbar überlegen ist.
Dringendes Gebot
Und auch im Verhältnis zu Russland wird die Verständigung auf Augenhöhe die allein mögliche und sinnvolle sein. Schon vor Trump, doch in seinen Präsidentenjahren erst recht, hat Moskau wieder an geopolitischem Handlungsvermögen gewonnen, um die einer Großmacht eigenen Interessen durchsetzen zu können. Russische Militärpräsenz konnte die Schlacht um Syrien vorentscheiden, russische Entschlossenheit ließ den Einbruch des Westens in der direkten Nachbarschaft (Ukraine) zumindest aufgehalten. Worauf sich die USA mutmaßlich nicht einlassen werden – als Obamas Vizepräsident hat Joe Biden die Ukrainepolitik bis zum Sturz des prorussischen Staatschef Janukowitsch im Februar 2014 maßgeblich bestimmt.
Ist auf diesem Feld weder Einkehr noch Umkehr zu erwarten, so doch vielleicht bei den Sondierungen über einen verlängerten New START-Vertrag, damit die thermonuklearen Potenziale der USA und Russlands nicht vollends außer Kontrolle geraten, nachdem schon die Abkommen über Mittelstrecken-Raketen (INF) und die Begrenzung der strategischen Abwehrsysteme (ABM) ausgedient haben.
Hier tatsächlich wären globale Vormacht und Verantwortung gefragt, um der Welt mehr als nur einen Gefallen zu tun. Es käme darauf an, in den nächsten Monaten zu verhindern, dass erstmals im Nuklearzeitalter zwischen den führenden Atommächte keine bindenden Übereinkünfte mehr bestehen – erstmals seit dem SALT-1-Vertrag von 1972.
Kommentare 9
Was spielen ("SALT 1, 2 oder 3") 2021 noch eine Rolle, wenn sich globale Mächte sowieso an keinen Vertrag halten? Es ist egal, ob man 500-, 5000-, 50000 Tausendfache Sprengkraft hat um den Planeten um die Ohren zu schiessen. So ein Trump 2.0 oder Putin kurz vor Rente oder Xi - Ping vor dem innenpolitischem Kotau reichen schon um 2023 - 2035 den Laden um die Ohren Fliegen zu lassen, da hilft auch kein "SALT - Hartz IV" - Vertrag mehr.
Meine Vorraussagung: Israel bombt erst mal Iran auseinander bevor der Iran die "little Boy" herstellt. Was dann in nichtchristlichen Nationen los ist können wir uns vorstellen, auch von denen die vorher contra Iran waren...
Guter Beitrag und die Einschätzung zur geopolitischen Lage in der Welt teile ich weitgehend.
Grösstes Problem scheint mir die Zerrüttung und Zerrissenheit der amerikanischen Gesellschaft zu sein. Es sind fast türkische Verhältnisse und auch dort hatten wir reflexartig abenteuerliche Militäraktionen erleben dürfen. Die Suche nach dem starken Mann und das Streben die Vergangenheit festhalten zu wollen. Darauf lässt sich keine verlässliche dauerhaft partnerschaftliche Politik mehr gründen.
Von daher sollte die EU seine transatlantische Beziehung so eng halten, daß der Koloß nicht grössere Schäden anrichten kann. Um trotzdem seine EU Interessen als Bindung von Ost/West zu festigen.
China wird in Zukunft mit den Folgen der Ein-Kind-Politik zu tun haben. Ein Heer von armen Alten ohne nenneswerte Altersvorsorge gewinnt keine Kriege und schafft kein Wachstum.
Ja, ein abgewogener Ausblick. Andererseits lese ich in meinem Lieblingsblog nakedcapitalism.com: " The same people who failed to rise to the occasion in 2009 — “creating the conditions for Trump,” as we say — are in power again. They have form. We must pray they do better with the power granted to them in 2021." Und das bringt es auf den Punkt, es ist dieselbe Truppe am Werk, die es schon nach 2009 vergeigt und Trump den Weg bereitet hat. Gelernt haben die nichts. Deswegen könnte man sich auch auf die bange Frage beschränken, wo die den nächsten Krieg anfangen? Etwas optimistischer könnte man annehmen, dass die USA die nächsten Jahre global einfach ausfallen, weil die genug mit sich selbst zu tun haben.
"Deswegen könnte man sich auch auf die bange Frage beschränken, wo die den nächsten Krieg anfangen?"
Gefährliche Frage. Vietnam jedenfalls scheinen die vergessen zu haben. Und Irak etc. ist zwar nicht so eine "Medienkatastrophe" geworden, aber ein Sieg ist das ja nun auch nicht gerade.
Man sollte eigentlich annehmen, dass die dortigen Bürger nun endlich mal genug davon haben, ihre Kinder und Männer und Frauen in diese Kriege zu schicken. Für mich ist das ein Phänomen. Was wollten die im Irak eigentlich gewinnen? Rohstoffe? Eine Basis in der Nähe zu RU oder in der Region?
Und wenn Biden vom Heilen redet, sollte man mal hinhören was und wen er damit meint.
Wer legitimiert hier wen zur "Führungsmacht"??? Die Geschichte der USA und ihrer Präsidenten verbindet das Wort Führungsmacht eher mit Drohung und Krieg. Es ist egal, ob republikanisch oder demokratisch andere Länder blockiert oder gar verwüstet werden. Die Unterschiede, gerade in der Aussenpolitik, liegen in Nuancen. Scheinbar hat Biden die Nuancen mit den Beitritt zur WHO und Klimaabkommen (schon) aufgebraucht. Ich täuche mich gern ... im Interesse von Frieden auf dieser Welt.
Eine Schlüsselfrage wird sein, ob wenigstens bei den strategischen Offensivwaffen mit Russland wieder ein Verhandlungsmodus gefunden wird, der etwa den New START-Vertrag rettet. Niemand legitimiert die USA als Führungsmacht, nur sie sich selbst. Daran wird sich unter Biden nicht viel ändern im Vergleich zu Bush oder Obama.
Müsste bei solchen Verhandlungsversuchen nicht auch China mit einbezogen werden? Ich denke schon.
"Womöglich hat Trumps kategorische Weltverweigerung bewirkt, dass die Weltzustände über die USA hinweggegangen sind.
In Deutschland können sich das viele Zeitgenossen nicht vorstellen, aber die USA bleiben nicht nur eine Art globaler Sehnsuchtsort, sondern für viele Länder auch ein unverzichtbarer Verbündeter. Der Verbündete der Zukunft kann allerdings kein Hegemon mehr sein - aber das scheint man in weiten Teilen der US-Öffentlichkeit durchaus zu verstehen.
"I think it's important to note that [Trump's] strategy unrealistically called for American primacy in the Indo-Pacific, whereas I think the reality is that America is simply being powerful and supportive of allies when it needs to be."
Wenn wir die Hitparade mal kurz von drei auf eins abarbeiten: Russland kommt für eine Führungsrolle nicht in Frage; China, dessen Verhalten auch seinen unmittelbaren und mittelbaren Nachbarn gegenüber alles andere als stoischen Gleichmut an den Tag legt, auch nicht.
Vielleicht fällt ja jemandem eine Alternative zu den USA ein. Aber ohne Initiativengeber wird es nicht gehen - und gemeinsame Initiativen sind nur sporadisch denkbar. Klimapolitik wäre vielleicht so ein Feld.