Lasst es sein und geht!

Brexit Nach der zweiten Abstimmungsniederlage für Theresa May ist die Chance für einen geregelten EU-Ausstieg wohl vertan. Jetzt bleibt nur der Sprung von der Klippe
Die Regierungsbank weiß, was kommt
Die Regierungsbank weiß, was kommt

Foto: Imago / Xinhua

Es ist ja keineswegs so, dass Premierministerin May nicht vieles versucht hätte. Vor ihrer erneuten Abstimmungsniederlage (diesmal waren 391 Parlamentarier gegen ihren Vertragsentwurf und 242 dafür) umwarb sie die Labour-Party und kündigte in der Vorwoche einen Fonds zur Unterstützung wirtschaftlich angeschlagener Regionen an, denen es nach dem Brexit nicht unbedingt besser gehen dürfte. Da dort häufig Wahlkreise von Labour-Abgeordneten liegen, schien das einen Versuch wert zu sein, den einen oder anderen für einen Seitenwechsel bei dem entscheidenen Votum im Unterhaus zu gewinnen. Ohne Erfolg, wie sich gezeigt hat.

Ebenso wenig haben die jüngsten Sondierungen Mays in Brüssel so viel Eindruck hinterlassen, dass es zu einem Sinneswandel bei Abgeordneten ihrer Konservativen Partei gekommen wäre. Erklärte Brexiteers wollen der EU nur noch entkommen, das endlich und unwiderruflich.

Irreale Vorstellung

Es kann nun einmal keine realistische Option sein, dass Großbritannien plötzlich aus dem Backstop aussteigt, wenn es einen Verbleib in der Zollunion mit der EU nicht länger hinnehmen will. Theresa May hat sich im Unterhaus auf besagte Konsultationen mit Kommissionspräsident Juncker am Montag in Brüssel berufen, als u.a. ein Dokument zustande kam, bei dem es sich freilich nur um eine einseitige britische Erklärung handelte. Darin ist die Auffassung der Premierministerin – nicht der EU-Zentrale – festgehalten, dass bei scheiternden Verhandlungen über einen Handelsvertrag mit der EU, niemand eine britische Regierung davon abhalten könne, den Backstop außer Kraft zu setzen.

Und dann? Kann wiederum – niemand – ausschließen, dass Brüssel umgehend die Grenze zwischen Nordirland und der Republik im Süden zur Außengrenze der Gemeinschaft erklärt und entsprechend behandelt. Nordirland wäre dann definitiv und mit allen Konsequenzen aus der EU entlassen, und es wäre dadurch um seine durch das Karfreitagsabkommen von 1998 verbürgten Bindungen mit der Republik im Süden gebracht.

Was die Unionisten der DUP sicher gutheißen, die katholischen Republikaner in der Sinn Fein Partei aber nicht hinnehmen werden. Nur scheint im Fall des Falls ein anderes Verhalten der EU-Exekutive kaum denkbar. Sie kann nicht einem Ex-Mitglied an Privilegien grenzende Regelungen zugestehen, die einen für immer in die Welt gesetzten Präzedenzfall schaffen. Die Staatenassoziation versteht sich nicht nur als Rechtsgemeinschaft, sie muss eine sein, um zu funktionieren.

Mit anderen Worten, die seit der EWG-Gründung 1957 geschlossenen Verträge sind für alle in gleicher Weise bindend. Sie durchzusetzen, ist häufig eine Interessen- und Machtfrage, bei der die größeren und einflussreichen Mitgliedsstaaten gern zuerst an sich denken. In Sachen Großbritannien und Backstop handelt es sich für die EU aber um eine Interessen-, Macht- und Existenzfrage. Das ist der feine Unterschied im Vergleich zu vielen sonstigen Streitfällen von der Bankenunion, über die Asylpolitik bis zur Digitalsteuer. Hier hat das vereinte Europa nichts zu verschenken und kann nur verlieren.

Neuwahlen abhalten

Daher sollte die Regierung May jetzt die schon lange fällige Schlussfolgerung aus ihrer Zerrissenheit wie ihrem Unvermögen ziehen, einen konsensfähigen Ausstiegsvertrag durchs Parlament zu bringen. Neuwahlen sind die allein vertretbare Lösung und werden entweder zu einer anderen konservativen Regierung führen, die den Auftrag des EU-Referendums vom 23. Juni 2016 endlich erfüllt. Oder sie werden Labour in Verantwortung bringen, das sich gewiss nicht zum Konkursverwalter berufen fühlt. Jeremy Corbyn hat klar für den vorläufigen Verbleib in einer Zollunion plädiert und könnte das mit einer Labour-Mehrheit im Unterhaus auch durchsetzen. Für die EU wie die britische Bevölkerung und Ökonomie wäre das eine Lösung.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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