Vor genau einem Jahr sind im Syrien-Konflikt die Würfel zuungunsten der USA gefallen. Als am 30. September 2015 erstmals russische Kampfjets Ziele des islamistischen Widerstandes im Großraum Aleppo angriffen, war klar, dass Russland ein solches Engagement einging, um einen syrischen Kernstaat zu erhalten, der weder saudisches Protektorat noch türkische Provinz noch sunnitisches Kalifat sein würde. Hätte sich Wladimir Putin davon abbringen lassen? Wenn ja, wie?
Vermutlich nur, wenn es Barack Obama gewagt hätte, ihm militärisch in die Parade zu fahren oder Derartiges zumindest anzudrohen. Tatsächlich war damit nicht zu rechnen, seit die US-Regierung im August 2013 in einer für sie strategisch sehr viel günstigeren Lage – Russlands Syrien-Präsenz besaß nicht heutige Dimensionen – wegen eines mutmaßlichen Giftgas-Einsatzes der Assad-Armee eine Drohkulisse aufbaute, dann aber auf eine Intervention verzichtete. Es gab schlichtweg zu große Risiken, die moderne Luftabwehr der Assad-Streitkräfte etwa, schwer kalkulierbare Reaktionen der Assad-Alliierten im Iran, im Libanon – und in Moskau. Überdies stand zu befürchten, dass die mögliche militärische Nachsorge eines Angriffs unversehens irakische Ausmaße annehmen konnte. Es durfte kein „libysches Szenario“ heraufbeschworen – sprich: bei einem durch externe Gewalt ausgelösten Assad-Sturz Syrien dem Islamischen Staat (IS) und anderen dschihadistischen Formationen überlassen werden. Ein weiteres Failed-State-Dilemma auslösen? Diesmal an der Grenze zu Israel?
Es kam hinzu: Als die US-Armee im Frühjahr 2003 in den Irak einmarschierte und wie das Messer durch die Butter fuhr, tobte dort kein Bürgerkrieg. Saddam Hussein besaß keine Schutzmacht im arabischen Raum. Anders Präsident Assad, der sich auf eine schiitische Regionalmacht in Teheran stützen konnte, während seinen Gegnern die wahhabitische Autokratie in Riad und deren Golfpartner hilfreich zur Seite standen.
Obama tut gut daran, sich weder auf Invasion noch Okkupation in der Levante einzulassen. Die USA mussten als Ordnungsmacht in Syrien ebenso scheitern, wie ihnen das in Afghanistan und im Irak widerfahren war. Was sollte sich an dieser Gewissheit ändern, als Russland aktiv in den Syrien-Konflikt eingriff? Nicht das Geringste. Statt dies anzuerkennen, manövrierte sich der Westen nun erst recht in die Defensive.
Schließlich hatten es die USA wie die EU bis dahin nicht vermocht, eine Strategie für ein befriedetes Syrien zu entwickeln, die eine Verhandlungsbasis sein konnte. Russland nutzte diese Kalamität, indem es – gestützt auf seinen militärischen Vorstoß – eine Lösung offerierte, dessen Conditio sine qua non lautete, der syrische Staat, wie er vor dem Bürgerkrieg bestand, muss in seiner territorialen und politischen Substanz erhalten werden. Über alles andere lässt sich reden. Die US-Regierung dürfte dies intern längst akzeptieren, nur fehlt der realpolitische Mut, sich zu einer adäquaten Syrien-Politik durchzuringen, die mit dem Eingeständnis beginnt: Assad lässt sich nur durch massive Kollaboration mit dem IS und gegen Russland von der Macht verdrängen. Beides können wir uns nicht leisten, aber zumindest so tun, als wäre alles ganz anders.
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