Lernen von Konfuzius

Währungsstreit Kurz vor dem IWF- und Weltbank-Jahrestreffen wird China unter Druck gesetzt, den Renminbi aufzuwerten, doch will Peking auf diesen Wettbewerbsvorteil nicht verzichten

Zu den überlieferten Schriften des Konfuzius gehört das Werk Lun-yu, in dem der Philosoph kurz vor seinem Tod im Jahr 479 v. u. Z. sein Leben wie folgt beschrieben hat: „Mit 15 konzentrierte ich mein Herz auf das Lernen. Mit 30 hatte ich mich etabliert. Mit 40 hatte ich keine Zweifel mehr. Mit 50 kannte ich den Willen des Himmels. Mit 60 war ich bereit, diesem Willen zu gehorchen ...“

Die Volksrepublik China, in der Konfuzius wieder einiges gilt, hat im sechsten Jahrzehnt ihres Lebens gelernt, dem Himmel zu gehorchen, indem sie darin den Willen des Marktes erkennt – eines globalen Marktes, um genau zu sein. Wegen ihrer ökonomischen Masse ist die Weltmacht China in wachsendem Maße durch weltwirtschaftliche Verwerfungen verletzbar. Sie kann sich keine Konzessionen oder Rücksichten leisten, die eigenen Interessen schaden. Die Konsequenzen müssen mit dem sozialen Schicksal von 1,3 Milliarden Menschen multipliziert werden. Wer diesen Umrechnungsfaktor für seine Entscheidungen im Nacken hat – und bei Premierminister Wen Jiabao ist das vermutlich der Fall –, der kann sich politische Gefälligkeiten nur als selbstmörderischen Luxus gönnen.

Wenn die Regierung in Peking das ganze Jahr 2009 über den Mut zu gewaltigen staatlichen Investitionen aufbrachte – dadurch die Weltökonomie nicht allein notdürftig bandagiert, sondern vor einem Kollaps bewahrt wurde –, ist es legitim, dass sie die Früchte des Aufschwungs selbst ernten will. Und alles tut, was den eigenen Appetit oder Hunger stillt. Für diesen Zweck auch die Währung in die Pflicht zu nehmen – also den Renminbi vorerst nicht aufzuwerten –, gehört dazu. Dieses Verhalten können die EU- Europäer nur dann selbstsüchtig und egozentrisch nennen, wenn sie eigene Selbstsucht vergessen oder verdrängen. Generell ist in einer Weltwirtschaft, die sich als Wettbewerbsgesellschaft versteht, nationale Währungspolitik ein erprobtes Vehikel, um in Form zu kommen und zu bleiben. Wenn sich Kanzlerin Merkel daran stört und versucht, den chinesischen Regierungschef Wen Jiabao beim Treffen in Meseberg unter Druck zu setzen, sollte ihr doch erinnerlich sein, womit die Exportoffensive der deutschen Wirtschaft im Frühjahr begann: einem durch die Haushaltskrise und Zahlungsschwierigkeiten etlicher EU-Staaten unter Druck geratenen und gleichfalls unterbewerteten Euro. Das hat temporär – besonders auf dem nordamerikanischen Markt – einen Exportschub bewirkt. Dass deutsche Firmen dieses Fenster der Möglichkeiten weit aufstoßen konnten, war nicht zuletzt staatlicher Konjunktur-Politik à la Keynes zu verdanken, die ihnen eine expansive und extrem flexibilisierte Kurzarbeit bescherte, mit der sich Kernbelegschaften halten und im entscheidenden Moment aktivieren ließen. Sind das keine Wettbewerbsvorteile, die sich Deutschland zunächst einmal einseitig verschafft hat?

Inzwischen hat sich die Euro-Dollar-Relation wieder „normalisiert“, und die EU – vorrangig die Export-Nationen Deutschland, Frankreich, Niederlande und Österreich – steht zwischen der Scylla von Sparhaushalt und Kursstabilität des Euro und der Charybdis eines daraus erwachsenden Verlustes an Absatzchancen auf dem Weltmarkt. Angela Merkel kann sich keinen erneuten Einbruch in der Auslandsnachfrage leisten und will deshalb den Konkurrenten China mit seinem unterbewerteten Renminbi und preislich lukrativen Angeboten ausbooten. Der eigene Binnenmarkt kann ihr wenig helfen. Den legt sie gerade durch ihr Haushalts-, Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik weiter trocken. 2011 werden die privaten Haushalte in Deutschland nicht nur krisenpräventiv handeln und Geld sparen, sondern schlichtweg keines (übrig) haben. Bleibt nur die Exportstärke, von der auch die Chinesen viel halten und für die sie viel tun. Und sei es mit Hilfe der Währung. Wer wollte es ihnen verbieten. Wer dürfte es ihnen verargen?

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