Linke Sozialdemokraten und Kommunisten regieren gemeinsam in Sachsen und Thüringen
Zeitgeschichte Einheitsfront 1922/23: Für wenige Monate sitzen KPD und SPD in Dresden und Weimar an einem Kabinettstisch. Dann werden sie durch die Reichswehr gestürzt
Die beste Parade ist ein kräftiger Hieb. Diese elementare Regel jedes Kampfes beherrscht erst recht alle Schritte der Revolution“, schreibt Rosa Luxemburg am 14. Januar 1919. Es ist ihr letzter Artikel für die Rote Fahne. Einen Tag und eine Nacht später wird sie – nach dem Kopfschuss eines Offiziers der Garde-Kavallerie-Schützendivision – in den Berliner Landwehr-Kanal geschleudert. Die am 1. Januar 1919 gegründete KPD verliert ihre Leitfigur. Und dies in einem Augenblick, da die Partei zu jung ist, um der selbst erteilten historischen Mission gewachsen zu sein.
Im Januar 1919 wird der Revolution vom November 1918 unwiderruflich das Genick gebrochen. Die KPD widersetzt sich der Gegenrevolution mit Hingabe und Opfersinn, doch ihren Parolen fehlt die
n Parolen fehlt die Zugkraft. Mit der „Diktatur des Proletariats“ können nur die wenigsten etwas anfangen. Wer will in Deutschland schon Proletarier sein? Was die Partei auch unternimmt – ob sie im März 1919 den Berliner Osten gegen die Massaker der Freikorps-Truppen verteidigt oder ein Jahr später im Ruhrkampf aushält –, es mutet an wie ein Drehen am Rad der Weltgeschichte, das sich kaum bewegen lässt.So ist es eher eine ernüchternde Bilanz, die der ab dem 5. November 1922 in Moskau tagende IV. Weltkongress der Kommunistischen Internationale (KI) ziehen muss. Die revolutionäre Nachkriegsglut ist erloschen, sie trotzdem schüren zu wollen, verheißt kein Feuer. Weder in Deutschland noch mit den Räterepubliken in Bayern und Ungarn oder den Soldatenräten in Wien gelang der radikale Bruch mit dem Bestehenden. Die Erwartung der Bolschewiki, ein sozialistisches Deutschland an ihrer Seite zu haben, erfüllt sich nicht. Lenins Zweifel, ob der Sozialismus in einem Land allein aufgebaut werden kann, zumal in Sowjetrussland, einem kaum industrialisierten, von Welt- und Bürgerkrieg gezeichneten, eurasischen Vielvölkerstaat, sind geblieben. Umso mehr beherrscht diesen Weltkongress der Wille, in Europa die restaurative durch eine revolutionäre Tendenz zu ersetzen. Ein Wechsel der Taktik täte not und gut. Die beschworene Hegemonie einer Avantgarde – der nach dem Krieg gegründeten kommunistischen Parteien – erscheint kaum mehr zeitgemäß. Wie sonst lassen sich Partner, allen voran Sozialdemokraten und Sozialisten, finden, wenn sie weiter als Revisionisten und Kollaborateure der Bourgeoisie geschmäht werden? Dabei sieht sich die KI keineswegs zum Bittsteller degradiert, der Abbitte leisten muss, um nicht marginalisiert zu werden. Immerhin vertreten die Delegierten in Moskau 66 Parteien (29 waren es zur Gründung 1919) mit 1,25 Millionen Mitgliedern, davon 500.000 außerhalb Sowjetrusslands. Es werden taktische Kompromisse, aber keine ideologischen Konzessionen erwogen. Abstriche am „Leninismus“ sind obsolet, der 1922 noch nicht so heißt, geschweige denn jenes Konglomerat theoretischer Dogmen ist, wie es nach Lenins Tod im Januar 1924 der Fall sein wird.Nach wie vor gilt, dass Parteien, die es zur Komintern zieht, ein Gesinnungstest abverlangt ist. Den „21 Aufnahmebedingungen“ muss genügen, wer dazugehören will. Sie enthalten das Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats und zum Ausschluss von „Reformisten und Zentrumsleuten“ (Punkt 1), die Pflicht zur „beharrlichen kommunistischen Arbeit innerhalb der Gewerkschaften“ (Punkt 9) oder die Bereitschaft, den Entscheidungen der Komintern bedingungslos zu folgen (Punkt 16). Nationale Parteien verzichten auf politische Souveränität und quittieren mit Stolz, dass der Parteiname mit dem Zusatz „Sektion der Kommunistischen Internationale“ versehen wird. Man ist Mitglied einer kommunistischen, von den Bolschewiki geführten Weltpartei. Daran soll der Schwenk zur „proletarischen Einheitsfront“ mitnichten rütteln. Es geht weniger um „linke Koalitionen aus Arbeiterparteien“ als um „Arbeiterregierungen“, in denen über Parteigrenzen hinweg „die Macht von unten“ gebündelt wird. Die Maxime: „Heran an die Massen!“Die KPD präzisiert das insofern, als sie auf einem Parteitag Ende Januar 1923 in Leipzig „Arbeiterregierungen mit linken Sozialdemokraten“ zum Ziel erklärt, denen man beitreten oder beistehen will. Dies verspreche keinen friedlichen, parlamentarischen Aufstieg zur Diktatur des Proletariats. Es sei allein „ein Versuch der Arbeiterklasse, im Rahmen und vorerst mit den Mitteln der bürgerlichen Demokratie, gestützt auf proletarische Organe und proletarische Massenbewegungen, Arbeiterpolitik zu treiben“. Offenbar fruchten Ermahnungen Lenins, das bürgerliche Parlament nicht als „erledigt“ zu betrachten. Wahlverweigerung widerspreche einer Wahlbereitschaft der Arbeiterklasse, hat er im Mai 1920 in seiner Schrift Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus vermerkt. Auch für KPD-Sympathisanten lasse sich in einem Landtag womöglich mehr ausrichten als auf Barrikaden im Ruhrgebiet. Ende 1918 hat bei der KPD-Gründung eine Mehrheit – gegen den Einspruch von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht – eine Teilnahme an der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung verworfen, das ändert sich in Maßen.Bereits am 20. März 1920 ist in einer Erklärung der KPD zum gescheiterten ultrarechten Kapp-Putsch erstmals von einer „sozialistischen Regierung“ die Rede: ein logischer Schluss aus „der praktischen Erkenntnis“, dass „die objektiven Grundlagen für die Diktatur des Proletariats“ derzeit nicht vorhanden seien, weil „die städtische Arbeiterschaft in ihrer Mehrheit“ den Unabhängigen (der USPD) Gefolgschaft leiste. Der Annahme, es müssten zugunsten einer solchen Regierung „politische Freiheiten unbegrenzt ausgenutzt werden, wo die bürgerliche Demokratie nicht als Diktatur des Kapitals auftreten“ könne, was einer Annäherung an die Diktatur des Proletariats nütze, verwirft Lenin im Linken Radikalismus als „illusionäres Denken“. Parteien wie die SPD würden niemals den Boden der bürgerlichen Demokratie verlassen. Und die könne wiederum nichts anderes sein als eine „Diktatur des Kapitals“. Das Schicksal der 1923 in Sachsen und Thüringen entstandenen Arbeiterregierung gibt ihm recht. Doch der Reihe nach.Die Möglichkeit, tatsächlich eine erste „Arbeiterregierung“ zu haben, ergibt sich in Sachsen. Anfang 1923 wollen die dortigen Sozialdemokraten der SPD-Führung im Reich die Burgfriedenspolitik gegenüber dem wirtschaftsliberalen Kanzler Wilhelm Cuno nicht länger durchgehen lassen. Am 4. März 1923 beschließt ein Landesparteitag mit 93 gegen 32 Stimmen, mit den Kommunisten zu verhandeln. Die sagen zu, eine SPD-Minderheitsregierung zu tolerieren. Sensationell mutet an, dass die von der KPD favorisierten „Proletarischen Hundertschaften“ zur Abwehr des Terrors von rechts legitimiert werden. Als am 21. März der 37-jährige Landgerichtsrat Erich Zeigner (SPD) zum Ministerpräsidenten in Dresden gewählt ist, schäumt Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) vor Wut. Doch Zeigner lässt sich nicht beirren und holt im Oktober 1923 zu seiner Entlastung die KPD-Politiker Heinrich Brandler, Fritz Heckert und Paul Böttcher ins Kabinett. Fast zeitgleich versucht sich eine Regierung aus linken Sozialdemokraten und Kommunisten in Thüringen.Prompt sieht die Komintern-Führung in Moskau das revolutionäre Feuer wieder lodern und verkündet einen „deutschen Oktober“, sollte sich das sächsische Proletariat erheben, seine Regierung verteidigen und dem ganzen Land ein Zeichen geben. Als Vorhut gilt jener proletarische Selbstschutz, den die Reichsregierung für illegal erklärt, um die Regierung Zeigner des Verfassungsbruchs zu beschuldigen. Als die „Hundertschaften“ nicht aufgelöst werden, lässt Ebert am 20. Oktober 1923 die Reichswehr in Sachsen einmarschieren. Die Order lautet auf „Reichsexekution“. Nicht ganz so drakonisch wird in Thüringen verfahren, aber auch dort hat die Regierung von unten am 7. Dezember 1923 nach dem Putsch von oben ausgedient. Es war den Versuch wert, der Reaktion diesen „Hieb“ zu versetzen, nur „kräftig“ geriet er leider nicht.
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