Lob des Spielverderbers

EU-Reform Das tschechische Verfassungsgericht hat auch die letzten Interventionen gegen den Lissabon-Vertrag abgeschmettert. Nun soll Vaclav Klaus tun, was von ihm erwartet wird

Die starken und großen EU-Staaten sind am Ziel ihrer Wünsche. Sie werden vom Lissabon-Vertrag mehr profitieren als die Gilde der kleinen und mittleren Mitglieder der Gemeinschaft. Doch die haben sich achtbar geschlagen, was besonders Tschechien zu verdanken ist. Erst Skepsis und Beharrungsvermögen in Prag, Warschau, Dublin oder Riga haben dazu geführt, diesen Reformvertrag aus der Grauzone des politischen Geschäfts zu holen, seinen Konsequenzen mehr Öffentlichkeit und die Beachtung zu verschaffen, die sie verdienen. Was für bedingungslosen EU-Sympathisanten als unerträgliche Verzögerung erscheint, ist tatsächlich Dienst an der inneren Demokratie der Union.

An Ermahnungen und Belehrungen, wie sich Tschechien zu verhalten hat, um die vertiefte Integration, der die Lissabon-Reformen dienen, nicht zu stören, herrschte nie Mangel. Da sich mit den neuen Abstimmungsverhältnissen, wie sie voraussichtlich ab Januar 2010 gelten, auch Hierarchien in der EU ergeben, war diese Art des erzieherischen Umgangs angetan, Widerstände gegen das Reformwerk besser begreifen zu können. Auch die Zeit der Ratspräsidentschaft Tschechiens im ersten Halbjahr 2009 geriet in dieser Hinsicht durchaus zur Lektion. Sie galt dem vermeintlich schwachen Premier Topolanek, betraf aber in Wirklichkeit alle potenziellen Ratsvorsitzenden, denen unterstellt wird, den Erwartungen nicht gerecht zu werden.
Vaclav Klaus, der EU-Skeptiker par excellence, dürfte im Westen für immer verspielt haben. Die gerade jetzt wieder gefeierten Wendetugenden aus dem Jahr 1989, als in Osteuropa souverän und selbstbestimmt dem sozialistischen Block und der Sowjetunion entsagt wurde, haben ausgesorgt, wenn die Blockinteressen der EU auf dem Spiel stehen. Notfalls werden Referenden wiederholt, bis das Ergebnis stimmt.

Bei alldem ist dem tschechischen Präsidenten hoch anzurechnen, in den Monaten der Vertragsprüfung nie nationalistische Töne angeschlagen zu haben. Auch zuletzt nicht, als er die mit den Benes-Dekreten von 1945/46 dekretierte Eigentums- und Rechtsordnung seines Landes gegenüber ehemaligen Sudetendeutschen und ihren Erben gesichert sehen wollte. Klaus wahrte mehr Contenance als mancher seiner Gegner. Er hat im Übrigen dem vereinten Europa ein Bewusstsein verschafft, dass für eine 27-Staaten-Union nach dem Scheitern der Verfassung (2005) und der Hängepartie beim Reformvertrag in absehbarer Zeit vergleichbare Vorhaben ausgereizt sind. Der zentrifugalen Kräfte, des Gefälles zwischen Kern- und Rand-Europa wegen. Die in Aussicht stehenden Neuaufnahmen (Kroatien, Albanien, Mazedonien, Türkei?) dürfte das nicht unberührt lassen. Längere Probezeiten oder EU-Assoziierungen, statt Vollmitgliedschaften könnten die Folge sein.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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