Lyrik des Aufruhrs

Revolutionslabel Es waren konkrete Umstände oder benutzte Requisiten, denen es Machtwechsel verdanken, mit einem besonderen Etikett in die postsowjetische Geschichte eingegangen zu sein

Rosen-Revolution

Gorbatschows Ex-Außenminister Eduard Schewardnadse ist im November 2003 als Präsident Georgiens nach einer mutmaßlich manipulierten Wahl angeschlagen. Als Demonstranten um 22. November 2003 die konstituierende Sitzung des neuen Parlaments in Tiflis stürmen, gibt der Patriarch auf. Die diskreditierte Obrigkeit wird von Ex-Justizminister Michail Saakaschwili beerbt, der fünf Jahre später ­ im August 2008 – wegen des Konflikts um die abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien – das Land in einen Fünf-Tage-Krieg mit Russland führt. Im Augenblick des Umsturzes vom Herbst 2003 hatte sich die vereinte Opposition auf einen Ausspruch Swiad Gamsachurdias, des ersten Präsidenten Georgiens nach 1991, berufen, der 1993 nach einem Putsch unter bis heute ungeklärten Umständen ums Leben kam. Gamsachurdia wird der Satz zugeschrieben: „Wir werden Rosen statt Kugeln auf unsere Feinde werfen.“

Orange-Revolution

Bei der ukrainischen Präsidentenwahl im Oktober 2004 duellieren sich Viktor Janukowitsch, der den russischen Bevölkerungsanteil der Ost-Ukraine vertritt, und Viktor Juschtschenko als Galionsfigur des prowestlichen Lagers sowie Chef des Oppositionsblocks Unsere Ukraine. Als nach der Stichwahl die Wahlkommission zunächst Janukowitsch zum Sieger ausruft, kommt es zu Straßenprotesten in Kiew und anderen Städten, wird die Regierung belagert und der zivile Ungehorsam ausgerufen. Nachdem das Oberste Gericht unter dem Druck der Kundgebungen den zweiten Wahlgang anulliert, wird das Votum erneut angesetzt und Juschtschenko am 28. Dezember 2004 mit 51,2 Prozent zum Sieger erklärt. Da Mitglieder und Sympathisasnten der Opposition bei Meetings, Straßensperren und Medienauftritten orangefarbene Jacken tragen, kommt der Oligarchen-Wechsel von Kiew zu dem Label Orange Revolution.

Tulpen-Revolution

Im März 2005 führt anarchischer Aufruhr, der mit massiven Plünderungen verbunden ist, zum Sturz des kirgischen Präsidenten Askar Akajew. Der ist nach der Selbstauflösung der Sowjetunion im Dezember 1991 zum ersten Staatschef der nun unabhängigen Republik gewählt worden und stand bis dahin der Akademie der Wissenschaften in Bischkek vor. Bei seiner Amtsführung unterliegt Akajew der Versuchung, die Macht im Interesse seiner Familie auszudehnen. Doch tut er zu wenig gegen die desolate Wirtschaftslage und manipulierte Parlamentswahlen im Februar/März 2005. Nach Straßenschlachten in Bischkek und Osch geht der frühere Premier Kurmanbek Bakijew als Sieger aus einem zwar heftigen, aber weitgehend unblutigen Machtkampf zwischen Exekutive und Opposition hervor, deren Symbol von Anfang an die Tulpe ist.


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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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