Machtwille und Blendwerk

Arabien Der Koran fordert als maßgebliches Merkmal eines muslimischen Staates Gerechtigkeit. Im Sudan ist davon bislang wenig zu sehen
Ausgabe 23/2019
Sudanesische Protestierende im Juni 2019. Seit Monaten kommt das Land nicht zur Ruhe
Sudanesische Protestierende im Juni 2019. Seit Monaten kommt das Land nicht zur Ruhe

Foto: Ebrahim Hamid/Getty Images

Zivile Regierungen mussten sich in Khartum stets der Endlichkeit ihres Daseins bewusst sein. Zuletzt galt das für Premier Sadiq al-Mahdi, der im Juni 1989 abdankte und dem Obristen Omar al-Baschir zu weichen hatte. Der hielt sich 30 Jahre lang als Staatschef, bis ihn Anfang April seinesgleichen abservierte. Der danach als Machtprovisorium etablierte Militärrat unter General Abdel Fattah al-Burhan folgt seit dieser Woche gewohnten Mustern, wenn ein Protestcamp gewaltsam geräumt wird. Die Botschaft des Übergriffs ist unüberhörbar und bei 60 Toten unübersehbar: Jedes Einvernehmen mit der Opposition (Parteien, Gewerkschaften, Studenten) hat ausgedient. Auch wenn plötzlich wieder Gesprächangebote gemacht werden, die nach so vielen Opfern der blanke Zynismus sind. Fühlen sich die Generäle stark genug und vor allem berufen, bis zu möglichen Neuwahlen das Land allein zu dirigieren?

Zweifel sind angebracht. Wo das Vertrauen in die reklamierte Demokratisierung fehlt, spricht der Verdacht, genau die vermeiden zu wollen. Schließlich begünstigt das regionale Umfeld den Coup über alle Maßen. Partner wie Saudi-Arabien haben auf die Abkehr vom Dialog nicht gedrängt, aber den Kurswechsel anstandslos gebilligt. Riad ließ es nach dem Sturz des international verfemten Omar al-Baschir an Beistand für dessen Erben nicht fehlen. Schon die geschasste Regierung hatte Bodentruppen in den Jemen geschickt, um den Saudis bei ihren Operationen gegen die Huthi-Rebellen zu sekundieren. Ebenso sind die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten den sudanesischen Militärs gewogen, wenn sie deren Vorgehen in der westlichen Provinz Darfur tolerieren. Nach wie vor dürfen dort die arabischen Janjaweed-Milizen ethnische Afrikaner vertreiben, um sich Wasser und Weidegründe in einer zusehends versteppten Gegend zu sichern.

Wird eine Region wie diese arabisiert und islamisiert, ist das kein Königsweg, um Staatsautorität auszuspielen und zu legitimieren, aber eine weit über den Sudan hinaus geschätzte Praxis. Dass die unter Druck stehenden Machthaber in Khartum darauf zurückgreifen, erstaunt nicht weiter. Sie leisten damit einen Offenbarungseid, der ideologische Phrasen als Blendwerk entlarvt. Überall im Sudan, besonders in Darfur, wolle man dem Koran Geltung verschaffen, heißt es. Wen soll das überzeugen, wenn der als maßgebliches Ideal eines muslimischen Staates die Gerechtigkeit proklamiert?

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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