Maginot-Linie durch Europa

EU-Haushaltsgipfel Mit ihrem Sparbudget wird die EU unfähig sein, unterschiedliche Lebensverhältnisse auf dem Kontinent anzugleichen. Dies zu tun, war Gründungskonsens der Gemeinschaft
Britanniens Premier Cameron hat auf diesem Gipfel viel von dem erreicht, was er wollte
Britanniens Premier Cameron hat auf diesem Gipfel viel von dem erreicht, was er wollte

Foto: Dan Kitwood / Getty Images

Der Gipfelauftakt für die Europäische Union im Jahr 2013 konnte kaum prägnanter ausfallen. Der Staatenbund macht dort weiter, wo er im Vorjahr aufgehört hat und könnte zerrissener kaum sein. Worum ging es? Sicher auch darum, ob das EU-Budget bis 2020 bei einer Billion Euro liegt, wie das Ratspräsident Herman Van Rompuyvor dem Treffen der 27 Regierungschefs in Brüssel vorschwebte, oder um eine Sparvariante von 960 Milliarden, auf die man sich letztlich geeinigt hat, die aber nicht in Gänze ausgezahlt, demzufolge auch nicht eingezahlt werden.

Bei dem, was mit voraussichtlich 908,4 Milliarden Euro übrig bleibt, handelt es sich um ein wachstumsfeindliches Budget, das der Rezession in vielen EU-Ländern weiter Vorschub leistet. Von diesem eher blamablen Gipfel-Ertrag abgesehen – es wächst die Zahl der EU-Regierungschefs, die sich in Rituale flüchten, denen vorzugsweise eine Botschaft eigen ist : Wir schützen den eigenen Staat gegen Zumutungen dieser Staatenunion! Wir lassen uns nicht für Gemeinschafts- oder nationale Interessen von EU-Partnern vereinnahmen, die uns Opfer abverlangen oder abverlangen könnten. Eine Maginot-Linie der Ressentiments und Reserviertheiten, der Abstinenz und Abwehr zieht sich durch Europa, um als Übergriff verstandene Entscheidungen der Gemeinschaft abzuwehren und sich das zu Hause als politische Leistung ersten Ranges vergelten zu lassen. Der britische Premier Cameron entfaltet bei diesem Wettlauf um nationale Wehrhaftigkeit ein beachtliches Potenzial.

Schielen auf die Innenpolitik

Er findet Nachahmer wie den italienischen Regierungschef, der sich im Wahlkampf auf Kosten der Union profiliert, auch die Positionen der Niederlande, Tschechiens und Polens haben in dieser Hinsicht ihr spezifisches Gewicht. Natürlich ist auch die deutsche Kanzlerin nicht gegen Versuchungen gefeit, den EU-Haushalt als großen, willkommenen Knüppel zu begreifen, um ihre Austeritätsdogmen den Krisenzonen im Osten und Westen des Kontinents überhelfen zu können. Über den innenpolitischen Erlös derartigen Handelns in einem Bundestagswahljahr muss nicht groß geredet werden.

Gekürzte Zahlungen aus den Kohäsions-, Agrar- und Strukturfonds der Gemeinschaft in den nächsten sechs Jahren sind nicht dazu angetan, die Krisenfolgen in der Slowakei, in Portugal, in Spanien oder in Griechenland aufzufangen. Als eine gemeinschaftsbildende Maßnahme taugt das verabschiedete EU-Budget keineswegs, das Gegenteil ist der Fall. Es hat zu viele Gipfelnächte gebraucht, um ein anderes Urteil zu fällen.

Man könnte das verschlissene Wort vom fehlenden Gemeinschaftswillen bemühen. Eindrucksvoller ist hingegen das Gefühl, dass Europas Zusammenhalt vor unser aller Augen durch den radikalen Entzug von Solidarität zerbricht, die bei einem solchen Staatenverbund nicht schlechthin eine Tugend ist, sondern als Lebenselixier in Betracht kommt.

Kein Haus der Völker

Wer allerdings das Euro-Krisenmanagement seit Ausbruch der Finanz- und Haushaltskrise im Herbst 2008 verfolgt hat, den kann dieser Befund nicht sonderlich überraschen. Er reflektiert das Webmuster einer Integration, die der europäischen Staatenpyramide nicht eben zufällig die innere Statik raubt.

Wann sonst soll das Europäische Haus sicher in der Landschaft stehen als bei Sturm und Wind? Was hält es aus, wenn es sich eben nicht zuerst um ein Haus der Menschen und Völker, sondern ein Domizil für Wirtschaftssysteme, Bankenverkehr, Finanz- und Handelsbeziehungen handelt, auf deren Erhalt und Prosperität es ankommt. In keinem anderen europäischen Vertragswerk ist dieses Integrationsgebot unmissverständlicher zu Papier gebracht, als im 2007 vereinbarten und 2009 in Kraft getretenen Lissabon-Vertrag – der Wirtschaftsverfassung der EU.

Die darin alles überlagernde Frage lautet, wie kann die EU das Funktionieren dieser Wirtschaftsordnung garantieren? Durch eine Währungsunion? Aus deutscher Sicht: ja! Aus griechischer, portugiesischer oder spanischer: eher nein! Durch eine Zoll- und Handelsunion, bei der auch die Kurse nationaler Währung ins Gewicht fallen? Aus deutscher Sicht: Nicht unbedingt! Aus griechischer, portugiesischer oder spanischer Sicht: Auf jeden Fall! Als europäische Wettbewerbsgesellschaft? Aus deutscher Sicht: Na sicher doch! Aus griechischer, portugiesischer oder spanischer Sicht: Jetzt nicht mehr! Als supranationaler Entwicklungshelfer mit Subventionsmacht (sprich: mit einem dafür ausgelegten EU-Haushalt)? Aus deutscher Sicht: Mit Abstrichen! Mit der Perspektive Lettlands, Griechenlands, Zyperns und vieler anderer mehr: Definitiv!

Bei so viel Dissens müsste diese Staaten-Assoziation entweder ganz neu erfunden oder ausgelöst werden. Einen Versuch, ersteres zu tun, unternahm bereits EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in seiner Neujahrsbotschaft, als er mitteilte, die europäische Rüstungsindustrie sei auf gutem Wege und sicher bald in der Lage, viele arbeitslose Jugendliche in der EU mit einem Job zu versorgen. Kann es eine bessere Empfehlung für einen soeben ausgezeichneten Friedensnobelpreisträger namens EU geben?

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