Mehr Faschismus wagen?

SPD Gerade den Genossen sollte bewusst sein, dass für Demokraten irgendwann eine rote Linie überschritten sein muss, die nach Konsequenzen verlangt
Wo bleibt der Anstand?
Wo bleibt der Anstand?

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Rudolf Diels, 1933 erster Chef der Gestapo, soll frühzeitig belastende Akten über NS-Größen ins Ausland geschafft haben, um Druck ausüben, seine Karriere absichern und sich selbst schützen zu können. Was – möchte man unweigerlich fragen – könnte Hans-Georg Maaßen in der Schublade haben, dass ihm Merkel und Nahles (womöglich auch Seehofer) gefällig sind, und er seinen Raubbau an der Demokratie fortsetzen kann?

Ein solcher Einstieg gehört sich nicht, hört man die Gralshüter politischer Umgangsformen aufheulen. Und zynisch ist er auch. Aber Zynismus ist das Mindeste, was man sich als Reaktion auf den Maaßen-Deal gönnen sollte. Die SPD kann es drehen und wenden, wie sie will – sie hat eine skandalöse Entscheidung geschluckt, indem sie der Versetzung des obersten Verfasserschützers auf den Posten eines Staatssekretärs im Innenministerium ihren Segen gibt, statt der Koalition eine Absage zu erteilen. Es ist inzwischen nicht nur schwer rufschädigend, dieser Verbindung noch anzugehören – es ist eine Frage des Anstandes zu gehen. Doch offenbar sind davon in der SPD-Spitze nur noch Reste vorhanden.

Orientierung für den Wähler

Warum bringt Andrea Nahles nicht wenigstens den Mut der Verzweiflung auf, um dem Politikbetrieb der Berliner Republik eine Betriebsstörung zu verschaffen, die ihr zur Ehre gereicht? Der mit einem Karriereschub ausgestattete Ex-Verfassungsschutzpräsident ist nicht nur ein Fall für verspieltes Politikvertrauen, sondern für den tiefen Fall von Politikvertrauen. Wer sich in diesem Land für ein Minimum an demokratischer Kultur einsetzt, wird dadurch nicht nur brüskiert, sondern verhöhnt – im Namen der Bundesregierung, der Kanzlerin, des Innenministers und der SPD-Vorsitzenden. Es ist müßig, über politische Flurschäden zu reden. Die politische Landschaft ist bereits derart verschandelt, dass sie kaum mehr auffallen.

Lassen wir einmal alle Machtobsessionen Seehofers beiseite, ebenso die Rechthaberei, den Rechtsdrall und den destruktiven Furor, um ständig Kraftproben mit Merkel anzuzetteln – nehmen wir nur die bayrischen Landtagswahlen am 14. Oktober, vor denen offenbar ein CSU-Innenminister nicht abgesetzt werden darf, weil das als unzulässige Wahlbeeinflussung zu Lasten der CSU gilt. Eine Auffassung, die symptomatisch ist für das derzeit herrschende politische Klima. Das Gegenteil wäre richtig: Personalentscheidungen wie die Entlassung Seehofers samt angebrachter Begründung wären eine Orientierungshilfe für den Wähler. Der wüsste dann besser, auf wen er sich einlässt mit der CSU, deren Vorsitzender Seehofer ist. Statt ein Wettbewerb um die demokratische Qualifikation der Bewerber zu sein, werden Wahlen zur Falle für die Demokratie. Sie deshalb aus Verdruss oder Abscheu zu meiden, erscheint nur folgerichtig.

Was geschieht mit diesem Erbe?

Was bei alldem am meisten erschüttert, ist der Umstand, wie die SPD der eigenen Geschichte ins Gesicht schlägt, auf die sie ansonsten so viel Wert legt, wenn es heißt: Sie sei nicht nur die älteste Partei im Land, sondern auch die mit der makellosen demokratischen Tradition. Und mit starken antifaschistischen Wurzeln, ließe sich ergänzen, um auf das Vermächtnis von Adolf Reichwein, Wilhelm Leuschner oder Julius Leber zu verweisen, die wie Tausende von Sozialdemokraten dem NS-Terror zwischen 1933 und 1945 zum Opfer fielen. Was geschieht gerade mit diesem Erbe, wenn die SPD-Spitze um Nahles das Kokettieren von Amtsträgern staatstragender Institutionen wie des bisherigen Verfassungsschutzpräsidenten mit dem rechtskonservativen, teils rechtsradikalen Trend im Lande toleriert, indem sie dessen Beförderung zum Staatssekretär hinnimmt? Es geht nicht nur um Affinitäten zur AfD, sondern um die Tatsache, dass Maaßen und Seehofer als Brüder im Geiste eine unverkennbare Belagerung der Gesellschaft durch einen unverhohlen auftrumpfenden Faschismus relativieren und dulden.

Wie die SPD dem – entrüstet – zusieht, erinnert an ihr Verhalten beim sogenannten „Preußenschlag“ am 20. Juli 1932, als Reichspräsident von Hindenburg den preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun und seinen Innenminister Carl Severing der Ämter enthob und per Staatsputsch quasi abservieren ließ. Die SPD-Führung protestierte zwar, sah aber von energischen Aktionen zur Verteidigung ihrer selbst, der Weimarer Demokratie wie dem Aufruf zum Generalstreik gegen die heraufziehende faschistische Gefahr ab. Stattdessen gab es eine Klage vor dem Staatsgerichtshof, mit der sich gegen vollendete Tatsachen nichts ausrichten ließ. Otto Braun gestand Jahre später in seinen Memoiren ein, er sei in der festen Absicht in den Urlaub gefahren, „nicht mehr in das Amt zurückzukehren“.

Lieber wurde hingenommen, was geschah, und der rechtsnationale Klüngel um Hindenburg und Reichskanzler Franz von Papen ermutigt, mit dem fortzufahren, was sich anbahnte, das Arrangement mit der NSDAP, die längst als Machtreserve einer Reaktion betrachtet wurde, der nicht die Rettung der Weimarer Demokratie am Herzen lag, sondern des eigenen Machtanspruchs. Nach 1945 wurde der „Preußenschlag“ von vielen Historikern als Generalprobe für Hitler und den 30. Januar 1933 gedeutet. Eine Generalprobe, die zugleich Machtprobe war, mit deren Ausgang die Urheber zufrieden sein konnten.

Es geht hier nicht um den historischen Vergleich, der die Affäre Maaßen und ihre Begleitumstände mit einer künstlichen, affektiert wirkenden Dramatisierung versieht. Nur sollte es ein Bewusstsein dafür geben, dass für Demokraten irgendwann eine rote Linie überschritten sein muss, die zu Konsequenzen nötigt, vor denen jedes parteitaktische Kalkül verblasst. Dann gilt nur noch: jetzt – oder nie mehr.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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