Was lehrt die Eskalation in Ägypten? Eines auf jeden Fall: Länder, in denen die innere Konfrontation kein Maß und keinen Mediator findet, sondern nur Brandbeschleuniger, driften in eine Staatskrise, aus der es vorübergehend oder für länger kein Entrinnen gibt. Bei den Akteuren geht die Fähigkeit zu Kompromiss und Augenmaß verloren. Es tritt ein Zustand der Unregierbarkeit ein.
Wer Hass sät
Insofern erinnert Ägypten im Juli 2013 an Algerien zum Jahreswechsel 1991/92, als dort der Versuch unternommen wurde und prompt gescheitert ist, durch eine Machtübernahme der Armee das Land zu befrieden. Die Islamische Heilsfront (FIS) hatte seinerzeit – durchaus vergleichbar mit dem Wahlsieg der Muslim-Brüder und Mohammed Mursis vor einem Jahr in Ägypten – beim Votum über ein neues Parlament triumphiert. Doch die Regierung in Algier erkannte das Ergebnis nicht an. Sie verweigerte sich, obwohl alle Wahlbeobachter der Abstimmung einen regulären Verlauf attestierten.
Weil sie durch solcherart Sabotage skrupellos ausmanövriert wurden, gingen viele Anhänger der FIS als teilweise fanatisierte Gotteskrieger in den Untergrund. Algerien verfiel einem Bürgerkrieg, dessen Grausamkeit alttestamentarische Züge trug. Es gab Massaker, bei denen sich ein regelrechter Tötungswahn entlud und so viel Hass säte, dass der Ruf nach Rache und Vergeltung der Todesmaschinerie keinen Stillstand gönnte.
„Ich bin einmal so tief in Blut gestiegen, dass, wollt' ich nun im Waten stille stehen, Rückkehr so schwierig wär', als durch zu gehen ...“, sagt einer der gedungenen Mörder, die Macbeth zu Diensten sind, in Shakespeares Drama. Will heißen, wer einmal tötet, tötet eben wieder. Es gibt eine Schuld, die abzutragen unmöglich ist. Es kommt nicht mehr darauf an, wird sie wieder und wieder erneuert. Es bleibt die eine alte, immer gleiche schwere Schuld. In solches Verhängnis muss Ägypten nicht beschieden sein, aber in den vergangenen Tagen steigt die Zahl der Toten schon bedenklich.
Keine neutrale Instanz
Wenn die Muslim-Bruderschaft einen Putsch gegen ihren Präsidenten Mursi nicht zulassen und sich dagegen wehren will, kann das nur heißen – von ihr aufgestellte Milizen könnten es auch mit der Armee aufnehmen, sollte die es wagen. Unter diesen Umstäden wäre eine Militärjunta mit einem vergleichbaren Machtanspruch wie der nach Mubaraks Sturz installierte Generalsrat eine sichere Gewähr, das Land in einen Bürgerkrieg zu stürzen und ihn zu führen. Abschrecken kann da nur die Androhung exemplarischer Gewalt oder aus deren Vollzug.
Was folgt daraus? Die Arabellion ist noch länge nicht vorbei. Sie wurde und wird aus so vielen Quellen gespeist. Dabei kann ein Staat kaum das Gefäß sein, sie aufzufangen, zumal dieser Staat wie in Ägypten keine neutrale Instanz ist. Er wird die Prägung durch das 2011 überwundene Regimes nicht von heute auf morgen los. Zum Sturz von Mubarak am 11. Februar 2011 führten sozialer Proteste, die Wut der Straße, moralische Verzweiflung, religiöse Selbstermutigung, islamistischer Gestaltungsanspruch, auch ökonomische Interessen – eine Gesellschaft muss das erschüttern. Was sonst? Ob sie daran zerbricht und sich neu findet, zeigt sich in diesen Tagen.
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