Nicolas Sarkozy leistete am 11. August in Moskau Beeindruckendes, als er einen Waffenstillstand im Kaukasus vermittelte, den die russische Führung bereits beschlossen hatte. Mit dem entsprechenden Vertrag flog Sarkozy - eher als Spediteur denn als Missionar - nach Tiflis, um die Unterschrift des Präsidenten Saakaschwili einzuholen. Die häufig wegen ihres außenpolitischen Phlegmas gescholtene Union der 27 konnte damit den Beweis antreten, dass sie den gehobenen Botendienst nicht scheut und dafür einen Ratspräsidenten aufzubieten vermag. Andererseits verstärkte der pendelnde Sarkozy den Eindruck, dass die EU im Kaukasus den Ereignissen mehr hinterher lief, als darauf Einfluss zu nehmen. Was in diesem Fall weniger inneren Blockaden als realitätsfremdem oder gar -blindem Verhalten geschuldet schien.
Es gab Hoffnung, die deutsche Kanzlerin würde bei ihrem Treffen mit Dimitri Medwedjew in Sotschi diesen Einruck korrigieren. Zumal Außenminister Steinmeier bis dahin einiges getan hatte, einseitige Schuldzuweisungen zu vermeiden und nicht der Auffassung des georgischen Präsidenten zu erliegen, die Einäscherung der südossetischen Stadt Zchinwali - sie erinnerte nach dem georgischen Angriff an Grosny und Falludscha - sei nationale Selbstverteidigung gewesen.
Leider hat Merkel, statt die Welt zu begreifen, in Sotschi einer deutschen Medienwelt zum Munde geredet, die beim Thema Russland in erwartbarer Eintracht lieber Affekte statt Analysen pflegt. Man hätte sich aus dem Mund der Kanzlerin nur den einen Satz gewünscht: "Ich respektiere, dass auch Russland seine nationalen Interessen verfolgt, wie das die Bundesrepublik nicht anders tut."
Stattdessen hat Merkel den Abenteurer Saakaschwili beschwichtigt, man halte an Georgien als designiertem NATO-Mitglied fest, und so getan, als käme sie mit ihrem Kopf mühelos durch jede Moskauer Wand. Das Gegenteil ist der Fall. Die EU wie auch die Bush-Regierung können zwar weiter den Eindruck erwecken, Georgien ließe sich selbstverständlich nach Westen verpflanzen - es wird nichts daran ändern, dass für Medwedjew und Putin die Zeit der sicherheitspolitischen Konzessionen vorbei ist. Freiheit ist zuweilen auch die Freiheit der anders Handelnden. Das vom Westen so gern reklamierte Selbstbestimmungsrecht der Kosovo-Albaner kann nicht mehr wert sein als das Selbstbestimmungsrecht von Südosseten und Abchasen, nur weil es dort ins Kalkül von EU und NATO passt und hier nicht.
Als Merkel in Sotschi an ihrem Gastgeber Medwedjew herum dozierte, hatten die Amerikaner und Polen gerade ihren Vertrag über die Stationierung von US-Patriot-Raketen in Nordpolen paraphiert. Allen vorherigen Zusagen zum Trotz, man werde im NATO-Russland-Rat und im direkten Gespräch zwischen Washington und Moskau nach für alle vertretbaren Lösungen suchen. Die Europäer dürfen dieses einseitige Agreement nicht nur staunend zur Kenntnis nehmen. Sie dürfen auch dafür bezahlen und die Konsequenzen auskosten. Wenn es zu den angekündigten russischen Gegenmaßnahmen - vermutlich der Dislozierung auf Kerneuropa gerichteter Raketen - kommt, werden die USA ihrerseits verlangen, das darauf reagiert wird. Vorzugsweise in Europa: durch die Bereitschaft, sich mehr denn je unter einen US- Raketenschirm zu begeben, vor allem aber selbst aufzurüsten.
Ein neuer kalter Krieg? Eine naheliegende, aber verschlissene Semantik. Die Zeit des kalkulierten Interessenabgleichs zwischen den Blöcken ist seit 1990 vorbei, das Prinzip, es gibt nur eine unteilbare oder keine Sicherheit, längst abgeschrieben. Europa wird zur Geisel eines konfrontativen Containments der Amerikaner gegenüber Russland und der antirussischen Obsessionen Polens. Man kann in einer solchen Situation das Zerrbild vom "Feind im Osten" anbeten - oder sich bei derartiger Vereinnahmung eigener Interessen besinnen. Dies im Georgien-Russland-Konflikt zu üben, wäre ein Gebot der Selbstbehauptung gewesen. Doch weder Sarkozy noch Merkel scheinen begreifen zu wollen, wohin sie sich manövrieren lassen.
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