Warum eigentlich ist Griechenland so reglementiert und diszipliniert worden, als es den Schuldner vom Dienst gab und dem Euro die Strahlkraft stahl? Besonders von der deutschen Regierung konnte man glauben, sie wolle ein Erziehungsdiktat über den verschlampten Defizitsünder errichten. Nichts schien verkehrter, als ihm seinen Willen zu lassen, nichts besser, als dem Desperado die Hand zu führen beim Entschulden und Sparen. Und nun plötzlich besinnt sich Angela Merkel auf die Souveränität der 27 EU-Staaten, als sei die das Selbstverständlichste der Euro-Welt und Frankreichs Idee von einer EU-Wirtschaftsregierung einer Sucht nach Reglementierung und Disziplinierung geschuldet, der man nicht nachgeben dürfe, wie allen Verführungen.
Beim gerade erlebten deutsch-französischen Gipfel in Berlin hielt Nicolas Sarkozy dennoch an seinem Begehren fest. Er hätte darauf verzichten können, tat sich aber keinen Zwang an. Nach der Verschiebung des Treffens um eine Woche dürfte im Vorfeld soviel sondiert worden sein, dass die Franzosen wussten, die Kanzlerin hat sich keines Besseren besonnen.
Um es deutlich zu sagen: Ein neues Koordinierungsgremium der EU hätte nicht den Status eines allmächtigen Direktoriums, das nationale Regierungen zu Vasallen degradiert und als Wasserträger betrachtet. Es wäre vielmehr die institutionelle Konsequenz aus den Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrages, die doch wohl verhindern sollten, was seit Monaten passiert: dass hoch verschuldete Euro-Staaten von den Finanzmärkten nach allen Regeln der Kunst gerupft werden.
Die Pariser Regierung will die Haushalts- und Finanzpolitik aller EU-Mitglieder unabhängiger Kontrolle und notfalls Korrektur unterziehen. Wie sich zeigt, ist der Europäische Rat damit überfordert und die EU-Kommission dafür nicht gedacht. Das Haushaltsrecht nationaler Regierungen und Parlamente wäre nicht aufgehoben, aber stärker an europäische Prinzipien gebunden – vorrangig denen der Gleichberechtigung und reziproken Verantwortung. Unter diesen Umständen würde es einer EU-Regierung natürlich auffallen, dass Deutschland mit seinen sozialen Aderlässen, wie sie die schwarz-gelbe Regierung am 7. Juni verordnet hat, die Ausbeutung der Arbeitnehmer verschärft, seinen Arbeitsmarkt einem ungeheuren Lohndruck aussetzt und sich zu Lasten anderer EU-Partner Konkurrenzvorteile verschafft. Darunter haben die Groß-Schuldner im Euroraum seit langem zu leiden. Eine EU-Wirtschaftsregierung müsste sich ihrer Interessen und Nöte annehmen, ganz ohne Zweifel. Und genau deshalb erscheint ein solches Projekt für die deutsche Kanzlerin wie ein Ausbund an frivoler Fremdbestimmung.
Sie legt ihr Veto ein und erinnert damit an den Präsidenten George Bush, der nach dem 11. September 2001 gleichsam von der Überzeugung beseelt war, einen Königsweg beim Anrennen gegen den internationalen Terror gefunden zu haben, und übersah, wie schwer, gar unmöglich es doch ist, einem Zerrbild des eigenen Seins beizukommen. Nun sind die deutschen Stabilitäts- und Spardogmen als Königsweg auserkoren. Dieser Zug zum Unilateralen – ausgerechnet in Zeiten der ersten und zugleich schwersten Euro-Krise offenbart – wirkt um so paradoxer, als sich die EU nach 1990 einem Multilateralismus verschrieb, der weltweit seinesgleichen sucht. Die nächsten Kapitel des Euro-Abstiegs sind längst geschrieben und werden demnächst (Spanien/Portugal) über die Bühne gehen. Für die nächste Euro-Krise gilt das (noch) nicht. Die ließe sich aufhalten, falls die Logik der Euro-Zone begriffen und einer wie auch immer gearteten europäischen Wirtschaftsregierung der Weg geebnet wird.
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