Der Kontinent treibt wieder im weltpolitischen Kielwasser und kann nicht viel tun, seine Geschicke selbst zu bestimmen. Zwei Anläufe hat die Afrikanische Union (AU) unternommen, den Libyen-Konflikt durch eine ausgehandelte Waffenruhe einzudämmen, um Zivilisten, Rebellen und Soldaten zu schützen. Zweimal mussten die Parlamentäre aufgeben, ohne etwas erreicht zu haben. Zunächst am 11. April, als eine vom südafrikanischen Staatschef Jacob Zuma geführte Mission mit den Präsidenten der Demokratischen Republik Kongo, aus Mali, Mauretanien und Uganda in Tripolis sondierte, um anschließend in Benghazi auf Granit zu beißen. Noch einmal Ende Mai, als Zuma allein antrat und erneut am Maximalismus des Anti-Gaddafi-Lagers scheiterte. Das müsste konzilianter sein, wäre es in seinem Entweder-Oder-Rigorismus kein Klient der NATO: Entweder Gaddafi dankt ab oder der Bürgerkrieg nimmt seinen Lauf.
Auch wenn Deutschland selbst keine Luftschläge führt, ist es Teil der westlichen Anti-Gaddafi-Phalanx. Durch die am 12. Juni während des Westerwelle-Besuchs in Benghazi ausgesprochene Anerkennung des Übergangsrates wurde einer Bürgerkriegspartei staatliche Legitimität zuerkannt, ohne die Beziehungen mit dem vorhandenen libyschen Staat und dessen Regierung offiziell abzubrechen oder auszusetzen. Abenteuerlicher geht es kaum. Wird das Beispiel zum Paradigma, sollte Berlin künftig mit manchem Kostgänger aus Afrika rechnen, der seinen Machtanspruch in gleicher Weise honoriert sehen will.
Leitlinien im Praxistest
Merkels Afrika-Tour in dieser Woche war zu sehr als Werbe-Safari für die deutsche Wirtschaft angelegt, als dass ein nordafrikanischer Krisenherd über Gebühr stören konnte. Ausklammern ließ sich das Thema freilich nicht. Es berührt nun einmal das Selbst- und Souveränitätsverständnis von Staaten, die sich marginalisiert fühlen, wenn die Afrikanische Union mit ihrer Krisendiplomatie in Europa bestenfalls belächelt wird. Merkels Gastgeber in Nairobi – Präsident Mwai Kibaki und Premier Raila Odinga – gaben schon vor der Visite zu verstehen, dass aus ihrer Sicht die NATO vom UN-Sicherheitsrat keineswegs autorisiert wurde, in Libyen die Machtmittel der einen Seite auszuschalten, indem sie denen der anderen zu freier Entfaltung verhilft. Auch hält Kenia Abstand zum Internationalen Strafgerichtshof (ICC) und steht hinter der Kritik von Jean Ping, des AU-Generalsekretärs aus Gabun, der die Anklage gegen Muammar al-Gaddafi verwirft.
Aber auch da galt, die Kanzlerin war nicht unterwegs um Placebos aus ihrem Werteschrank zu fischen, sondern Angebote für Investitionen und Handel auszupacken. Ihre Reise fiel unter die Kategorie Praxistest für die im Juni vom Bundeskabinett verabschiedeten Leitlinien einer neuen Afrika-Politik, die „Partnerschaften auf gleicher Augenhöhe“ verheißt und damit verblüfft: Wer kann sich schon so empor schrauben, um Deutschland auf Augenhöhe zu begegnen? Sicher nicht die Ärmsten und Abgehängten dieses Erdteils wie Mauretanien, Niger, Mali, Eritrea oder Somalia. Eher schon Merkels Reiseziele Kenia, Angola und Nigeria – nach Südafrika die führenden Wirtschaftsnationen im subsaharischen Afrika. Wer sie mit Unternehmern und Wirtschaftsfunktionären im Tross besucht, wird dem Credo der Leitlinien gerecht: Statt Ideologie- mehr Technologie-Export, statt Entwicklungs- mehr ökonomische Zusammenarbeit, statt Vormundschaft in Sachen Good Governance mehr Partnerschaft. Mit einem Wort: Es gilt, in Afrika mit Staaten ins Geschäft zu kommen, die potente Absatzmärkte bieten. Angola beispielsweise ist seit dem Ende des Bürgerkrieges 2002 zum drittwichtigsten deutschen Handelspartner südlich der Sahara avanciert und gehört zu den Ländern mit dem derzeit größten Zufluss ausländischer Direktinvestitionen (2010: fast 20 Milliarden Dollar). Nigeria fand sich in der Person des damaligen Präsidenten Yar’Adua 2007 zum G 8-Gipfel in Heiligendamm gebeten – ein Jahr später war die deutsch-nigerianische Energiepartnerschaft besiegelt.
Um gegenüber chinesischer Konkurrenz in Afrika auf „Augenhöhe“ zu sein – dazu war Merkels Ländertour allemal geeignet. Während die einen im Tausch gegen Rohstoffe Straßen, Häfen und Städte bauen, bieten deutsche Unternehmen Strom- und Mobilfunknetze, sollten im Gegenzug die Öl- und Gasexporteure Angola und Nigeria den Importeur Deutschland ins Programm nehmen. Mit einem Wort, die deutsche Afrika-Politik wird chinesischer und lernt von China, wenn Ressourcennachschub (Stichwort: Seltene Erden) gebraucht wird.
Nutzen des Topfes
Der pragmatische Zuschnitt von drei Tagen Afrika ließ Merkel auf missionarischen Furor verzichten, wie ihn US-Präsidenten so lieben, falls sie in dieser Weltgegend auftauchen. Bill Clinton wollte seine beiden großen Afrika-Touren in den Jahren 1998 und 2000 Marktwirtschaft und Menschenrechten widmen und träumte von einer amerikanisch-afrikanischen Freihandelszone, die Traum blieb und sicherheitshalber „Vision“ getauft wurde. George Bush traf im Juli 2003 die Staatschefs im Senegal, in Südafrika, Botswana, Nigeria und Uganda, weil er den „Aufbruch in eine neue Ära des US-Engagements in Afrika“ bezeugen wollte. Barack Obama, der nach eigener Aussage das „Blut Afrikas“ in sich trägt, verkündete bei seinem Ghana-Besuch im Juli 2009: „Wir nehmen Afrika ernst“, was heißen sollte, wir holen euch aus dem toten Winkel der Peripherie auf die lichten Höhen der Globalisierung.
Verglichen damit hatte Angela Merkels mobile Verkaufsmesse für deutsche Anbieter von Energie-Techologien und -Infrastrukturen einen Hang zum Understatement. Aber wo er hohl ist, liegt bekanntlich der Nutzen des Topfes. Will sagen, der Sinn dieser Reise bestand darin, dass der ökonomische Zweck die politische Ambition deckelt, sollte die zum Störpotenzial geraten. Werden damit die Herausforderungen, denen sich die aufgesuchten Länder derzeit und erst recht in den kommenden Jahrzehnten stellen müssen, ausreichend gewürdigt? Sollte es mehr Gespür für deren strukturelle Stabilität geben?
Kenia wurde nach der umstrittenen Präsidentenwahl Ende 2007 von Pogromen erschüttert, die an den Rand eines Genozids führten. Der nigerianische Zentralstaat bleibt steter Konfrontation zwischen einem reichen christlichen Süden und einem maroden muslimischen Norden ausgesetzt. In beiden Fällen spiegeln Aufruhr und Anarchie den Rückgriff auf eine militante Religiosität und eben solche Ethnizität. Man weiß es dank der Muster in Nahost und Mittelasien: Wer aus gläubiger Inbrunst das wehrhafte Kollektiv beschwört, sucht auch nach einem Überleben unterm Modernisierungsjoch. 2020 schon werden 63 bis 65 Prozent der Afrikaner in Städten leben – die Hälfte davon dürfte jünger als 25 Jahre alt sein. Und das bei einer überwiegend informellen urbanen Ökonomie, die überfordert ist, den Abwanderungsschub aus ländlichen Regionen aufzufangen. Vermutlich wird in der Banlieue von Lagos oder Nairobi die Verländlichung städtischer Biotope unaufhaltsam sein. Wie lässt sich auf eine derartige soziokulturelle Zäsur reagieren, wenn sie zur Quelle steigender Jugendarbeitslosigkeit wird? Wiederholen sich in zehn Jahren die arabischen Aufstände in Afrika? Unter Umständen könnten Merkels neue Partner mehr brauchen als Windanlagen und Solarstrom.
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