Mission Schleichgang

Kommentar NATO-Trainer für Iraks Nationalgarde

John Kerry mag viele Wahlhelfer rekrutiert haben, die NATO gehört nicht dazu. Vorerst jedenfalls. Denn die Entscheidung des Nordatlantikrates über die Trainingsmission für irakisches Militär ist bis auf weiteres nicht kompatibel mit dem Vier-Punkte-Plan des Herausforderers, der als Präsident gern NATO-Verbände an Euphrat und Tigris sehen würde, um eigene Truppen zu entlasten. Vorzugsweise Frankreich und Belgien haben während der vergangenen Woche im NATO-Hauptquartier dafür gesorgt, dass die vorgesehenen 300 Ausbilder zwar demnächst im Irak stationiert werden, aber keinen Kampfauftrag haben, dass sie von den im Lande stehenden Interventionstruppen zu schützen und nicht allein durch den Nordatlantik-Pakt zu finanzieren sind.

Rein formal erledigt die Allianz damit einen Auftrag, der ihr jüngst auf dem NATO-Gipfel in Istanbul zufiel und dort nicht viel mehr als ein Minimalkonsens war. Andererseits fällt die Entscheidung über die Modalitäten der Mission zu einem Augenblick, da die Lage für die Amerikaner weitaus kritischer ist als zum Zeitpunkt des Antritts der sogenannten Übergangsregierung Ende Juni. Mögen sich auch George W. Bush und Iyad Allawi das aus den Fugen geratene Land als Hort blühender Hoffnungen schön reden, wie das gerade beim Besuch des irakischen Premiers in Washington passiert ist - Tatsache bleibt, die Besatzungstruppen haben beträchtliche Gebiete an Aufständische verloren. Sie können selbst in ihren Zitadellen den ausufernden Widerstand nicht mehr eindämmen. Mit den Luftangriffen auf irakische Städte, die immer wieder zu neuen Opfern unter der Zivilbevölkerung führen, werden täglich Kriegsverbrechen begangen, die den Wunsch nach Rache und Vergeltung zusätzlich anfachen.

Die sogenannten Koalitionstruppen verfügen derzeit noch über einen Gesamtbestand von 160.000 Mann, davon 135.000 US-Soldaten. Die ursprüngliche Absicht, dieses Korps bis zum Jahresende auf 100.000 Mann schrumpfen zu lassen, erscheint schon deshalb illusionär, weil die oft beschworene neue "irakische Nationalgarde" für keinerlei Kompensation sorgen kann. Bis Ende 2003 wollte das US-Oberkommando 250.000 Iraker für diese Formation anwerben - es kamen nicht einmal 30.000 zusammen, und in diesem Jahr liegt die entsprechende Zahl deutlich darunter. Was also geschieht, wenn nach den US-Präsidentenwahlen am 2. November, wie bereits angekündigt, "entscheidende Militärschläge" gegen die Zentren des Widerstandes geführt werden? Bleibt dann die NATO mit ihren Beratern neutraler Beobachter oder wird sie in mehr als nur taktische Manöver hinein gezogen. Was passiert, wenn zurückerobertes Terrain durch irakische Einheiten gesichert wird, die NATO-Ausbildern anvertraut sind? In Brüssel hieß es zuletzt, eine "mission creep" - eine schleichende Veränderung des Istanbuler Mandats - sei nicht auszuschließen. Auch in Südvietnam hatte die US-Armee 1960/61 ihre ersten Militärs als "Berater" entsandt und stets beteuert, mehr wolle man auf keinen Fall tun.


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