Aufgeladen mit Kampfeslust und Todesverachtung (Eurobonds nur über meine Leiche!) geht die Kanzlerin in die Schlacht. Dieser EU-Gipfel ist für sie nichts weniger als eine Schlacht mit Feinden und allem, was dazu gehört, wird dem staunenden und zu beindruckenden Publikum in Deutschland suggeriert. Es gibt noch einen letzten Aufrechten in Europa, der gegen ökonomische Dekadenz und fiskalischen Verfall zu Felde zieht, so die Botschaft von Merkel bei ihrer Regierungserklärung gestern. Tritt ihr zu nahe, wer glaubt, sie denkt dabei auch an den Wahlkampf 2013, die eigene Wiederwahl und eine seit Monaten, wenn nicht Jahren geschürte Europa- und Euro-Aversion in Deutschland?
Noch keinen Cent
Nun hat sich also die vereinte Eurokratie mit dem Rats- und Kommissionspräsidenten an der Spitze gegen die deutsche Standhaftigkeit verschworen. Dabei waren doch Herman Van Rompuy und José Manuel Barroso einst Kader, die durch vehemente Fürsprache dieser Kanzlerin – man könnte auch sagen, deren Druck – in ihre Ämter gerieten. Im November 2011 hatte es sich Barroso freilich schon einmal mit Berlin verdorben, als er in einem Kommissionspapier über Varianten nachdachte, wie man durch Gemeinschaftsanleihen der Euro-Staaten – der Begriff Eurobonds fiel wohlweislich nicht – auf den Finanzmärkten Eindruck hinterlassen könnte. Was theoretisch durchgespielt wurde, hatte einen praktischen Sinn: Zinsdruck von Euro-Staaten nehmen, die ihn kaum noch aushalten. Seinerzeit galt das vorzugsweise für Portugal. Inzwischen sind es Spanien, Italien und Zypern, die trotz relativ fallsicher gespannter Auffangnetzes des Krisenfonds EFSF und bald wohl des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM bei ihren Gläubigern nur wenig Gnade finden. Und künftig auf noch weniger rechnen dürfen. Bis Ende 2014 muss Spanien 350 Milliarden Euro an Schuldpapieren refinanzieren, für Italien sind es 670 Milliarden. Es handelt sich um Altschulden, die durch – vermutlich sehr teure – neue Schulden bedient werden müssen. Falls das gelingt – Zweifel sind angebracht –, haben sich die genannten Länder noch keinen Cent für Investitionen, Sozialleistungen und Bildungsausgaben geborgt.
Bei solchen Aussichten muss eine EU-Führung handeln. Wenn sie das in konzertierter Aktion mit EZB-Präsident Mario Draghi und Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker tut, dann nicht aus Übermut, sondern weil Brandmauern her müssen, die Feuerstürme aushalten. Und da sind vergemeinschaftete Schulden unter Umständen ein brauchbarer Baustoff.
Mit geschwellter Brust
Von Angela Merkel stammt der Satz: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa!“ Bedarf der jetzt einer Ergänzung, die in etwa lautet: „Setzt sich Deutschland in Europa nicht durch, wird Europa durch Deutschland sabotiert?“ Wem das zu übertrieben scheint, der möge eine Situation seit 1990 nennen, in der eine Bundesregierung so verbissen gegen Europa zog wie in diesem Augenblick.
Es galt am 3. Oktober 1990 als Geschäftsgrundlage der Wiedervereinigung – die deutsche Einheit kann es nur in einem vereinten und sich weiter vereinenden Europa geben. Alles andere hieße, der Geschichte dieses Kontinents im 20. Jahrhundert verantwortungslos den Rücken kehren. Anders hätte sich das damals vom Sozialisten François Mitterrand regierte Frankreich nicht für einen neuen deutschen Kernstaat mitten in Europa gewinnen lassen. Droht nun eine Kernschmelze mit unabsehbaren Folgen?
Nebenbei gesagt es gibt für die Regierung Merkel keinen Grund, den Eindruck zu erwecken, sie allein trage den Ehrenschild haushälterischer Makellosigkeit vor der geschwellten Brust, auf dass alle Euro-Partner nur beschämt in sich gehen. Man nehme den gestern vom Kabinett gebilligten Haushaltsentwurf des Bundesfinanzministers für 2013 und konfrontiere ihn mit den Auflagen des Fiskalpaktes, die am 1. Januar 2013 wirksam werden. Danach darf sich auch die Bundesrepublik nur noch eine Neuverschuldung von 0,5 Prozent leisten, das sind 12,5 Milliarden Euro, tatsächlich verzeichnet der Budgetansatz aber neue Schulden im Wert von 18,8 Milliarden. Nicht berücksichtigt sind weiter – erstens die für den Bund fälligen Leistungen für die Länder, damit die den Fiskalpakt im Bundesrat absegnen. Zweitens jene Milliarden, die an Altschulden abgebaut werden müssen, weil laut Fiskalpakt ab 2013 jedes Land seine Gesamtverbindlichkeiten um fünf Prozent pro Jahr reduzieren muss, drittens Mehrbelastungen, die sich durch die für den ESM zu leistenden Bürgschaften ergeben (im Moment laut Bundesrechnungshof 310 Milliarden Euro). Von allen Lasten, die sich aus einer launischen Konjunktur ergeben, einmal ganz abgesehen.
Deutschland bringt es auf Gesamtschulden von derzeit fast 2,1 Billionen Euro – da sollte Demut selbstverständlich sein, auch weil man eines Tages die heute anderen verwehrte europäische Solidarität vielleicht brauchen könnte.
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