Moral und Mandat

Botschafter-Eklat Natürlich ist Diplomatie auch Politik – nur eben eine der Diskretion. Das hätten die Abgesandten in der Türkei wissen müssen
Ausgabe 43/2021
Die Erklärung der zehn Botschafter konnte von der Regierung Erdoğan nur als Affront gedeutet werden
Die Erklärung der zehn Botschafter konnte von der Regierung Erdoğan nur als Affront gedeutet werden

Foto: Ozan Kose/AFP/Getty Images

Werden Diplomaten zu Politikern, verspielen sie Vertrauen, das unverzichtbar ist, wollen sie ihrer Mission gerecht werden. Womit nicht gesagt sein soll, dass Diplomatie keine Politik ist. Nur eben eine des geschützten Raumes und der Diskretion, fern des medialen Zu- und Übergriffs. Da verwundert es schon, wenn zehn westliche Botschafter, darunter der deutsche, in der Türkei als Kollektiv eine öffentliche Erklärung abgeben. Grundtenor, der Kulturmäzen Osman Kavala solle umgehend aus der Haft entlassen werden. Das konnte von der Regierung Erdoğan nur als Affront gedeutet werden. War das die Absicht?

Warum übernehmen hochrangige Diplomaten, was Sache eines Appells ihrer Regierungen sein sollte? Haben die nichts gewusst oder gewollt, was geschah? Den unmittelbaren Akteuren dürfte jedenfalls klar gewesen sein, wie sehr sie ihr Mandat schon vom Prozedere her überziehen. Es heißt in der Wiener Konvention, die seit 1964 in Kraft und von 193 Staaten unterzeichnet ist, diplomatisches Personal genieße im Gastland Immunität, sei aber verpflichtet, „sich nicht in dessen innere Angelegenheiten einzumischen“.

Das ist zweifellos passiert, um ein politisches System und seine gelenkte Rechtsprechung anzugreifen. Nur sind die zehn Botschafter nicht bei Präsident Erdoğan, sondern in der Türkei akkreditiert und schon gar nicht beauftragt, Erzieher zu sein. Ihr Metier sind allein die Beziehungen des eigenen Staates zur Republik Türkei, deren Souveränität zu respektieren ist. Was sonst sollte die Geschäftsgrundlage diplomatischer Tätigkeit sein?

Das nun allenthalben strapazierte Argument, die Türkei sei keine „Bananenrepublik“, mit ihr dürfe nicht derart umgegangen werden, schreibt den Hochmut der Botschafter fort. Auch „Bananenrepubliken“, womit in der Regel „Failed States“ gemeint sind, die oft durch fremde Schuld entstehen, sind Völkerrechtssubjekte und haben als solche Anspruch darauf, nach der Wiener Konvention behandelt zu werden.

Wer in der Diplomatie zwischen Staaten erster und zweiter Klasse unterscheidet, gefährdet in der internationalen Politik eines der letzten Reservate geregelter Umgangsformen. Der zerstört Kanäle und Kontakte, die womöglich eine letzte Instanz sind, um zerstörerische Konflikte zu verhindern.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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