In seiner Rede zur Lage der Nation vor dem US-Kongress hat Präsident Obama das Menetekel weltpolitischer Zweitklassigkeit der USA heraufbeschworen. Um anzudeuten, was damit gemeint ist, hätte er getrost das in Aufruhr geratene Ägypten als Kronzeugen aufrufen können. Zerbricht das System Mubarak, wäre das für die USA ein herber – um nicht zu sagen substanzieller – Verlust. Dabei fällt weniger ins Gewicht, dass der Autokratie am Nil durch massive Wirtschaftshilfen sooft es ging die Überlebensfristen gestreckt wurden. Die USA laufen Gefahr, im Nahen und Mittleren Osten auf dem Hochseil wackliger Balancen den letzten Halt zu verlieren. Präsident Hosni Mubarak war trotz seines zuletzt mumienhaften Stoizismus gewiss kein Fels in der Brandung mehr, aber eine Adresse, unter der Washington zu Recht Verlässlichkeit und Gefolgstreue vermutete. Nicht zufällig verlas Barack Obama am 4. Juni 2009 nicht irgendwo, sondern an der Universität von Kairo seine Versöhnungsbotschaft an die nahöstliche Welt, um sich aus acht Jahren Nahost-Politik seines Vorgängern herauszuwinden. Doch wer redet, muss auch handeln, heilsame Rhetorik pflastert keine seelischen Wunden, politische Inkonsequenz straft die besten Absichten Lügen. Und mehr als eine Diplomatie der Halbheiten haben Obama und seine Außenministerin Clinton seither kaum zustande gebracht.
Die nicht zur Üppigkeit tendierenden außenpolitischen Erfolge des einstigen Präsidenten Carter erbrachten Ende der siebziger Jahre einen wirklichen Durchbruch – Händedruck und Friedensvertrag zwischen dem Ägypter Anwar as-Sadat und dem Israeli Menachem Begin im September 1978. Ägypten aus einer Front der Gegner Israels herauszubrechen – das konnte sich aus amerikanischer Sicht sehen lassen. Durch das seinerzeit geschlossene Camp-David-Abkommen war die Konfrontation zwischen Feinden durch eine Koexistenz der Partner abgelöst.
Hosni Mubarak beerbte nicht nur den 1981 bei einem Attentat fanatischer Muselmanen getöteten Sadat – er bürgte für dessen Vermächtnis. Und das seit drei Jahrzehnten. Was geschieht mit diesem Nachlass, wenn das Regime strauchelt? Für Israel ist das allein deshalb eine brisante Frage, weil die Gaza-Blockade nur noch die Hälfte oder noch weniger wert sein wird, wenn der ägyptische Part der Einschnürung entfällt. Viel entscheidender wäre jedoch, dass ein Ägypten ohne Mubarak nicht mehr zwischen den Fronten, sondern wieder in der arabischen Welt stehen könnte.
Man sollte sich vor Augen halten, was augenblicklich in einer strategischen Domäne der Vereinigten Staaten geschieht: der Maghreb (Tunesien, Algerien) in Aufruhr, Ägypten ein Kartenhaus, der Libanon künftig von einem Premier Nadschib Mikati und damit von einem Gewährsmann der Hisbollah regiert, der Irak vom Brenneisen des Krieges gezeichnet, Iran auf eine widerständige Souveränität bedacht und Israel von der souveränen Widerständigkeit einer Regierung Netanjahu geprägt, die im Umgang mit den Palästinensern allein sich selbst gehorcht und gegenüber Washington eine Beratungsresistenz demonstriert, die weniger von israelischer Stärke als amerikanischer Schwäche zeugt. Nicht zu vergessen, dass in Ägypten der islamistische Brutkasten dank Moslem-Bruderschaft und Anhang ganz anders bevölkert ist als in Tunesien.
Gewiss, Vergleiche sind immer fragwürdig. Aber Ägypten zu verlieren, dass wäre für die USA ein Schlag ins Kontor, der sie an das Jahr 1979, den Sturz des Schah-Regimes in Teheran, erinnern könnte.
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