Die Präsidenten Rohani und Erdoğan sind auf ihre Souveränität bedachte Führer. Sie dürften vor Wochenfrist kaum zum Gipfel nach Sotschi gereist sein, um Wladimir Putin einen Gefallen zu tun. Vielmehr scheint es Russlands Syrien-Engagement zu sein, das sie überzeugt, daran teilzuhaben.
Dessen erste Phase begann, als im Herbst 2015 die verlorene Luftpräsenz der Assad-Streitkräfte durch russischen Beistand reanimiert wurde. Es folgte ab Sommer 2016 die Luftunterstützung für einen Vormarsch am Boden, die Ende des gleichen Jahres zu der – für die Assad-Armee wie den regimeloyalen Teil der syrischen Gesellschaft – mental wichtigen Rückeroberung Ost-Aleppos führte. Abgeschlossen wurde diese Periode im Oktober 2017 mit dem erzwungenen Abzug des Islamischen Staates (IS) aus seiner Bastion in der Provinz Rakka, die an eine kurdisch-arabische Koalition fiel, woran die russische Luftwaffe ebenfalls ihren Anteil hatte.
Flankiert wurde diese Phase durch eine Art Syrien-Schirmherrschaft Russlands, Irans und der Türkei, die aus unterschiedlichen Motiven eine Koalition der Krisenpaten formierten, um neben militärischer Deeskalation das Terrain für eine Nachkriegsordnung zu sondieren. Unter anderem einigte man sich auf vier Friedenszonen in den Provinzen Idlib, Homs, Latakia, Hama sowie Ost-Ghuta, in denen lokale Feuerpausen das Muster für eine Waffenruhe im ganzen Land hergeben könnten.
Zugleich wurde Präsident Assad die Zusage abgerungen, es werde eine neue Verfassung geben, dazu Wahlen, um den Staatschef und ein künftiges Parlament zu bestimmen. Auch wenn es längst nicht mehr vor dem Fall steht, wird das Baath-System Abstriche an einstiger Machtfülle hinnehmen und sich Reformen öffnen müssen, die schon vor Ausbruch des Bürgerkrieges im März 2011 als unumgänglich galten. So hat Baschar al-Assad bei seinem Sotschi-Treffen mit Wladimir Putin am 20. November versichert, nicht seine Partei allein, sondern das gesamte syrische Volk werde über die Zukunft entscheiden. Dazu beginnt am 2. Dezember in Sotschi ein Nationaler Dialog, zu dem außer Assad-Gesandten und moderaten Oppositionellen aus Kairo, Paris und Moskau auch die Istanbul-Gruppe gebeten ist, die nach dem Rückzug des syrischen Ex-Premiers Riad Hidschab nicht mehr auf einer bedingungslosen Assad-Demission besteht.
Wille zur Machtdemonstration
Wenn eine auf Frieden bedachte Syrien-Vermittlung derzeit von Russland dominiert wird, hat das vorrangig einen Grund. Moskau verfügt über ein konsistentes Handlungstableau, dem niemand Vergleichbares entgegensetzen kann. Schon gar nicht die USA oder andere westliche Staaten, die sich in eine einseitige Parteinahme gegen Präsident Assad verrannt, daraus aber nie die Konsequenzen gezogen haben, wie das Putin mit seiner Waffenhilfe für den syrischen Staatschef tat. Immerhin nahm er das Risiko auf sich, erstmals seit dem Abzug des Afghanistankorps im Februar 1989 einen russischen Militärverband jenseits der einstigen sowjetischen Grenzen einzusetzen.
Dieses Out-of-Area-Szenario spiegelt nicht nur absichtsvoll eine seit Ende der 1990er Jahre übliche NATO-Praxis. Es bezeugt gleichsam den harten Schnitt, den es in Putins Außenpolitik gegeben hat, seit versucht wurde, die Ukraine aus der russischen Einflusssphäre zu lotsen, die NATO-Osterweiterung mit dem ultimativen Coup zu krönen und das Kräfteverhältnis auf irreversible Weise zuungunsten Russlands zu verschieben. Seinerzeit dürfte in Moskau die Überzeugung gereift sein, strategische Kerninteressen – dazu zählt die Präsenz in Syrien – ohne Rücksicht auf politische Kollateralschäden durchzusetzen. Es entstand das Diktum von der östlichen Gegenmacht, die der Maxime folgt: Nur durch Ebenbürtigkeit – nicht das dialogische Austarieren von Interessen – lässt sich westliche Hegemonie verhindern. Was sich vom Ansatz her nach 1990 zunächst anders darstellte. Man denke an den Aufritt von Präsident Putin im Bundestag am 25. September 2001, als es an Offerten zu partnerschaftlicher Nähe nicht fehlte. Putin bat damals um Toleranz für seine Kühnheit, „einen großen Teil meiner Rede in der Sprache von Goethe, Schiller und Kant (…) zu halten“. Er sei als Emissär eines Volkes nach Berlin gereist, „das gute Lehren aus dem Kalten Krieg“ gezogen habe. Von seinen Zuhörern hielten das offenbar viele für überflüssig. Inzwischen ist für Russland der Wunsch nach Verständigung dem Willen zur Machtdemonstration gewichen. Syrien bot sich an, dem Nachdruck zu verleihen.
Als dort am 30. September 2015 erstmals russische Kampfjets eingriffen, hatte Wladimir Putin keine Skrupel, in einem Interview über den gleichzeitigen Einsatz seegestützter Marschflugkörper von Kriegsschiffen im Kaspischen Meer zu reden. Diese Präzisionswaffen hätten Irak und Iran durchquert, bevor sie Ziele im Konfliktgebiet erreicht hätten. „Es ist eine Sache, wenn Experten sich bewusst sind, dass Russland diese Waffen möglicherweise hat, aber eine ganz andere Sache, wenn sie erstmals sehen, dass sie existieren, und wir bereit sind, im Interesse unseres Landes davon Gebrauch zu machen.“ Ähnlich unmissverständlich geriet eine Botschaft der Duma, als sie im Oktober 2016 einmütig Militärverträge ratifizierte, mit denen Syrien der russischen Armee zugestand, die Luftwaffenbasis Hmeimim bei Latakia wie den Marinehafen Tartus kostenfrei und für „mindestens 49 Jahre“ zu nutzen.
Syrien als Exempel
Syrien wurde für Russland zum Exempel, um vorzuführen, dass es den Rückgriff auf militärische Macht so wenig scheut wie seine Gegner im Westen. Jeder sollte sehen, wozu es führt, wenn die historische Chance zur Partnerschaft auf Augenhöhe verspielt ist. Feindseligkeit kann mit Feindschaft beantwortet werden. Was die NATO nicht im Geringsten daran hindert, nach dem Prinzip „Der Ruf verklagt sein Echo“ zu agieren. Nichts sonst ist den jüngsten Beschlüssen der Verteidigungsminister zu entnehmen. Durch zwei neue Hauptquartiere soll eine Kommandostruktur ausgebaut werden, die sich klar gegen Russland richtet und – wenig überraschend – die Abschreckungsdoktrin des 1990/91 vermeintlich beerdigten bipolaren Zeitalters bemüht.
Soll man das beklagen oder nach Vorteilen Ausschau halten, wie sie schließlich auch dem vor 30 Jahren untergegangenen System von Jalta und seinem in Maßen friedenssichernden Potenzial anhafteten? Und muss nicht jedes Urteil über die russische Syrien-Politik diese Wirkung wie den geografischen Kontext beachten? Letzterer besagt schließlich, dass im Nahen Osten wie in Nordafrika ganze Regionen einem Schwebezustand zwischen Krieg und Frieden ausgesetzt und jeder Regierbarkeit entzogen sind. Eben deshalb genießt aus russischer Sicht neben einer Reform des politischen Systems in Syrien der Erhalt des dortigen Staates Priorität. Was Teheran und Ankara kaum anders sehen. Wie sollte auch nach den kolossalen Zerstörungen des Bürgerkrieges ein Wiederaufbau ohne kollektiven Organisator des Allgemeinwohls gelingen? Kann der überleben, wäre einem Trend Einhalt geboten, der das Phänomen des Failed State wie in Libyen, im Jemen oder in Somalia zur Normalität befördert hat. Je unwiderruflicher Staaten wie diese verfallen, desto mehr gewinnen „nichtstaatliche Akteure“ an Bedeutung, seien es Widerstandsgruppen mit terroristischem Hintergrund, separatistische Bewegungen (Tuareg/Kurden) oder kriminelle Strukturen, die dank des staatlichen Autoritätsverlustes von einer expandierenden transnationalen Konfliktökonomie zehren. Die floriert beim Transfer von Rohstoffen ebenso wie durch den Schmuggel von Nahrungsmitteln, Medikamenten und Zigaretten.
Nach dem Dreiergipfel von Sotschi hob Präsident Putin hervor, dass dank des Einsatzes Irans, der Türkei und Russlands ein Kollaps des syrischen Staates abgewendet wurde. Sollte das so bleiben, gäbe es eine Alternative zum Staatsverfall in Libyen, der nach dem Eingreifen der NATO (2011) gegen das Gaddafi-Regime unaufhaltsam wurde. Es unterblieb jede politische Nachsorge nach einem von außen lancierten Regime Change. Syrien könnte zu einem Gegenentwurf werden, der Interessen weit über Russland, Iran und die Türkei hinaus bedient. Es ließen sich weiter anschwellende Flüchtlingsströme ebenso verhindern wie die Ausbreitung terroristischer Milizen, denen das von schwindsüchtigen Staaten ausgehende Machtvakuum stets in die Karten spielt. Die prekäre Lage des Irak während der IS-Vorstöße von 2014 wie das gerade mehr denn je taumelnde Afghanistan sind krasse Beispiele.
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