Wer es damals miterlebt hat, wird sich gewiss erinnern an diesen Rausch der Bilder. Es sind Rauchsäulen, Feuerbälle und Detonationswolken, die aus der Nacht von Bagdad den lichterlohen Tag hervor zaubern. Dazwischen immer wieder die Infrarotaufnahmen mit dem Fadenkreuz, die Rakete im Anflug, die Rakete beim Einschlag – und noch ein Feuerball. Amerikas Oberkommandierender am Golf, General Norman Schwarzkopf, führt mit diesen Bildkanonaden einem weltweit fasziniert zuschauenden Publikum die Treffgenauigkeit seiner Bombenjets vor.
Seit dem 17. Januar 1991 ist die Neue Weltordnung zur Jungfernfahrt unterwegs und gönnt sich zur Feier dieses Aufbruchs ein Feuerwerk, bei dem Minarette und Moscheen, Wohnhäuser und Wohnviertel, Marktplätze und Menschenleben abrasiert werden wie Schießscheiben auf dem Truppenübungsplatz. Für die zivilen Opfer der Bombardements gerät das Wort „Kollateralschaden“ auf den Nachrichtenmarkt. Dessen technische Glätte erlaubt es den Kriegsmoderatoren von CNN bis ZDF, jovial und abgeklärt von einer „hohen chirurgischen Präzision der Luftangriffe auf Bagdad“ zu schwärmen, bei denen – gelegentlich – „Kollateralschäden“ anfallen. Die euphemistische Harmonie dieser Semantik wird durch den neuen Begriff nicht gestört. Der Zuschauer auch nicht. Oder nicht über Gebühr. Und darum geht es.
Der Stapellauf
Es ist wie mit einem Schlangenei. Hinter der Schale erkennt man schon das voll ausgebildete Reptil. Es fehlt ihm nichts von dem, was es später brauchen will. Die Neue Weltordnung ist von bellizistischem Wagemut und dem Drang beseelt, die Vereinten Nationen für sich einzuspannen. Sie kennt eine Führungsmacht, die wiederum keine Skrupel kennt, ihren Führungsanspruch geltend zu machen. Sie fühlt sich befreit von einer Mäßigung, die es dem vorherigen globalen Regime verboten hatte, über seine Verhältnisse zu leben. Das Gleichgewicht des Schreckens ist gesprengt und vom Übergewicht des allein Mächtigen ersetzt. So viel Gunst bei der genetischen Grundausstattung des Reptils lockt zum Übermut. Kann scheitern, wer so aus dem Vollen schöpft? Die Frage stellt sich erst einmal nicht, als der Irak zwischen Januar und März 1991 überrollt und Kuwait befreit wird. Weil diese Frage inzwischen beantwortet wurde – in Somalia, in Afghanistan und im Irak – lohnt es, die Geschichte von damals zu rekapitulieren. Nicht aus Hang zur Retrospektive, sondern wegen der Perspektive, wie sie vor 20 Jahren schon erkennbar ist.
Zunächst soviel, am 17. Januar 1991 holt eine internationale Militärallianz unter Führung der USA zur Operation Wüstensturm aus, um die irakische Armee aus Kuwait zu vertreiben. Die Neue Weltordnung zählt noch kein Jahr und hat sich schon der Überzeugung ergeben, im Namen von Recht und Moral sei Krieg die beste Lösung für den Konflikt zwischen zwei Golfstaaten. Weil dies dem Gewaltverbot der UN-Charta widerspricht, müssen die Vereinten Nationen über ihren Schatten springen und werden vom designierten Schirmherrn der Neuen Weltordnung zu deren Kreatur, was sich in den folgenden Jahren – siehe Afghanistan – wiederholen wird. Nur musste es schon vor dem 17. Januar 1991 soweit nicht kommen.
Als Saddam Hussein am 2. August 1990 seine Streitmacht nach Kuwait vorstoßen lässt, reagiert der UN-Sicherheitsrat noch am gleichen Tag mit der Resolution 660, verurteilt die Aggression und verlangt sofortigen Rückzug. Der Irak stellt sich taub, so dass vier Tage später Resolution 661 folgt und mit ihr ein umfassendes Embargo, das seine Zeit braucht, um Wirkung zu zeigen. Davon unbeeindruckt beginnen die USA – sie werden seinerzeit von George Bush sen. regiert –, ein Expeditionskorps in die Wüsten und zu den Basen Saudi-Arabiens zu verschiffen, das bald 300.000 Mann zählt und seinesgleichen sucht. In drei Wochen werden mehr Truppen und Material im Marsch gesetzt als während der ersten drei Monate des Korea-Krieges 1950. Versorgt werden müssen die 300.000 von einem 25.000-Mann-Korps – wer kann sie alle zurückholen, ohne dass ein Schuss fällt und ein Sieg zu feiern ist? Diese Szenarien der vollendeten Tatsachen sind der Neuen Weltordnung wie aus dem Gesicht geschnitten und bedienen eine Dramaturgie der unaufhaltsamen Eskalationsdynamik. In den nächsten Jahren werden diese Stapelläufe zum Krieg ein Muster, dem Alternativen nichts mehr anhaben können: ob vor der NATO-Intervention gegen Serbien 1999 oder vor dem US-Einmarsch in Afghanistan 2001 oder vor dem Enthauptungsschlag gegen Saddam Hussein im März 2003 – immer ist irgendwann der Punkt erreicht, vom dem aus jedes Innehalten entfällt und das Stück nur noch ein Finale haben darf – den Krieg als Fortsetzung von Nichtpolitik mit anderen Mitteln.
So mächtig wie bei der Operation Wüstensturm Anfang 1991 werden die USA nie wieder sein. Ihr Führungsanspruch im eigenen Lager ist unangreifbar, ihr Triumph über die Sowjetunion erschlagend und doch kaum noch der Rede wert. Der einst supermächtige Nebenbuhler wird sich noch im gleichen Jahr endgültig aus dem Spiel nehmen. Michail Gorbatschow kann oder will nichts von dem ernten, was er durch seinen historischen Rückzug, der an Selbstaufgabe grenzt, und im Vertrauen auf ein Neues Denken gesät hat.
Am 8. November 1990 gibt das sowjetische Außenministerium zu verstehen, die UdSSR schließe den Gebrauch militärischer Gewalt gegen den Aggressor Irak nicht mehr aus, wolle aber selbst auf die Bereitstellung von Truppen verzichten. Es dauert keinen Monat, bis am 1. Dezember 1990 die UN-Resolution 678 dem Irak ein Ultimatum bis zum 15. Januar stellt, aus Kuwait abzuziehen. Nicht alle Mitgliedsstaaten (wie später gern verbreitet wird), sondern nur jene, „die mit der Regierung von Kuwait zusammenarbeiten“, werden bevollmächtigt, „alle notwendigen Mittel einzusetzen“, um dem Verlangen des Sicherheitsrates Genüge zu tun. Welche „Mittel“, das steht außer Frage.
Der Kniefall
Kommt die Erklärung aus Moskau der ergebenen Hinnahme des Unabwendbaren gleich? Was Gorbatschow bewogen hat, bestenfalls halbherzig zu versuchen, auf seinem Prinzip des friedlichen Umgangs mit jedwedem internationalen Konflikt zu beharren – darüber lässt sich nur spekulieren. Was stattfindet, ist der Kotau des Erneuerers vor traditioneller Machtpolitik. Das Neue Denken kapituliert vor der Neuen Weltordnung. Wann sonst als in einem solchen Augenblick hätte es einen Tauglichkeitstest ablegen können? Das Neue Denken hat das eigene System und Bündnis abwickeln helfen, nun weicht es vor der Zukunft und einer Zivilisierung des Barbarischen zurück.
Schon im Jahr 1991 wird offenbar – die Amerikaner haben mit der Sowjetunion mehr als einen Gegenspieler auf Augenhöhe verloren. Ihnen fehlt fortan das Korrektiv, sie können eigene Hybris nicht mehr zügeln. Bei der Operation Wüstensturm wird der Irak wochenlang bombardiert, erst am 24. Februar beginnt eine Bodenoffensive mit dem Ziel Kuwait, die schon nach 100 Stunden zum Erfolg führt. Will heißen, Teile Bagdads mussten nicht zerstört und Teile der gegnerischen Armee nicht im Wüstensand erstickt werden, um Kuwait seine Souveränität zurückzugeben.
Auch dieser Kraftakt entgrenzter Übermacht ergibt ein Muster kommender Schlachten. Sind beim Irak-Feldzug die von den USA eingesetzten militärischen Mittel unangemessen und unverhältnismäßig, werden sie nach dem 11. September 2001 unangemessen und unbrauchbar sein. Der „Krieg gegen den Terror“ wird auch deshalb zum Desaster, weil zwar Feindbilder zuhauf beschworen werden, aber kein Feind existiert, der auch nur halbwegs so real wäre wie 1991 die Armee Saddam Husseins. Die gewaltigste Kriegsmaschinerie der Welt läuft dermaßen ins Leere, dass sie – statt zu siegen – den Nachweis abliefert, nur noch unzeitgemäß zu sein. Sie kann in Afghanistan so wenig triumphieren wie zuvor den Irak befrieden. Moralisch verschlissen von Anfang an, gehen der Neuen Weltordnung die Schlachtfelder aus. Sie wollte sich mit einem Krieg empfehlen und hat ausgesorgt, weil Kriege wie der vor 20 Jahren geführte heute nicht mehr führbar sind. Was so ziemlich das Schlimmste und Beste ist, was ihr passieren kann.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt: Das 1990 fusionierte Deutschland kämpfte nur in Gedanken mit und füllte der Operation Wüstensturm mit 18 Milliarden DM lediglich die Kriegskasse – einen Marschbefehl für die Bundeswehr hatte das Bundesverfassungsgericht noch nicht abgesegnet.
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