Es ist Joe Biden, der für einen vorsichtigen Bruch mit bisherigen Planungen für die US-Präsenz nach dem Abzug aller ISAF-Verbände Ende 2014 plädiert. Statt der vorgesehenen 10.000 Mann würden 3.000 reichen, wenn man vermehrt Drohnen einsetze und die Basen in Pakistan nutze, so der Vizepräsident. Damit ließen sich die Taliban und andere Dschihadisten mühelos in Schach halten.
Was die NATO dann noch zu tun hätte, wäre auf die Ausbildungsmission Resolute Support beschränkt. Selbst diese dosierte Nachsorge steht unter Vorbehalt, solange Hamid Karzai das Bilateral Security Agreement (BSA) mit den USA nicht unterschreibt. Washington hat jedoch bisher alles vermieden, was nach einem Ultimatum für den afghanischen Staatschef aussehen könnte, der offenbar bis zur Präsidentenwahl am 5. April an politischem Gewicht halten will, was immer sich halten lässt.
Mit allzu großer Nachsicht gegenüber Kabul scheint es seit einer Woche vorbei zu sein, denn plötzlich wird durch die US-Regierung wie auch die NATO mit dem totalen Abzug gedroht. Dann könnte sich zum Jahresende so gut wie jede militärische Präsenz des Westens am Hindukusch erledigt haben. Freilich darf bezweifelt werden, ob es dazu kommt – vielmehr soll wohl der Druck auf Karzai erhöht und seinem Nachfolger bedeutet werden, was von ihm erwartet wird, sofern er sich einen gewissen militärischen Flankenschutzes von NATO-Kontingenten erfreuen will.
Was tun die Taliban?
Hamid Karzai kann nicht erneut kandidieren, aber er möchte keine lame duck sein, bevor alle Optionen ausgeschöpft sind, mit den Taliban ein Regime des Übergangs auszuhandeln. Er hat es dabei freilich mit unsicheren Kantonisten zu tun. Die Gotteskrieger verfügen über keine konsistente Nachkriegsstrategie. Die Quetta Shura von Mullah Omar, des geistlichen Führers aus der Zeit des afghanischen Kalifats zwischen 1996 und 2001, will das Präsidentenvotum abwarten und notfalls weiter auf Guerilla-Kampf setzen. Die verhandlungsbereite Fraktion könnte sich die Teilhabe an einer künftigen Regierung vorstellen, falls die Nationalarmee ANA auf 15.000 Mann reduziert wird und die Taliban als legitime Waffenträger anerkannt werden. Sollte der jetzige Bestand von etwa 150.000 Soldaten auf dieses Limit schrumpfen, käme Resolute Support allerdings die Kundschaft abhanden.
Überraschend hat das Pentagon seine Einkaufsliste für das afghanische Militär um 40 Prozent zusammengestrichen, auch darf die Army am Hindukusch bis Jahresende keine Infrastruktur-Projekte mehr angehen. Vorsorge zu treffen, damit aus Afghanistan kein Hexenkessel wird wie nach dem Abzug der Sowjets vor 25 Jahren, scheint die Devise in Washington nach wie vor. Doch soll nur getan werden, was unverzichtbar ist.
Vermutlich werden sich die NATO-Verteidigungsminister in den nächsten Tagen in diesem Sinne einigen. Die Obama-Regierung muss mit einigem Fatalismus Notiz davon nehmen, dass Hamid Karzai für die Restlaufzeit seiner Präsidentschaft als souveräner, von niemandem abhängiger Politiker erscheinen will, trotzdem aber darauf besteht, dass die USA auch nach Ende des Regierungsmandats im Mai für seine persönliche Sicherheit sorgen.
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