Notorischer Reflex, blamable Reaktion

Quadriga-Preis Nicht Wladimir Putin gebricht es an der Qualifikation für die abgesagte Ehrung, vielmehr fehlt es dem Preiskomitee an Rückgrat, diesem Preisträger gerecht zu werden

Maßgebliche Kuratoren des Quadriga-Preises kennen offenbar die politische Kultur des Landes schlecht, die sie umgibt. Sonst hätten Lothar de Maizière und Manfred Stolpe wissen müssen, dass bei ihrem Laureaten Putin unweigerlich eine Welle der Hysterie und Intoleranz auf sie zurollt, in der man untergehen, auf der man aber auch reiten kann. Wer es wagt, bei einem russischen Spitzenpolitiker den notorischen Reflex des trillerpfeifenden Pedells zu unterlassen, gerät hierzulande schnell in den Verdacht politischer Unzurechnungsfähigkeit. Das ist leider vorhersehbar. Und eine ideologiebesetzte Hoffart obendrein. Um so mehr braucht Anlauf und einen harten Kopf, wer gegen diese Wand rennen, vielleicht sogar hindurch will.

Die Juroren des Quadriga-Preises haben keines von beiden versucht und eine Absage für das kleinere Übel gehalten. Das ist blamabel und verdienstvoll zugleich. Sie haben mit dieser Art Umfallertum bewiesen, von welch großem Übel die politische Kultur dieses Landes befallen oder – besser – heimgesucht ist. Statt souverän und abgeklärt damit umzugehen, werden Streitfragen auf ihre Eignung zum Eklat hin abgeklopft. Überreaktionen sind die Folge, sachliche Debatten ausgeschlossen. Russland ist nicht Deutschland und nennt seine Demokratie "gelenkt" und nicht "parlamentarisch". Ob dafür Traditionen, die Größe des Landes, seine politische Mentalität und Geschichte geltend gemacht werden, kann man diskutieren, ablehnen oder begrüßen. An Hochmut und Überheblichkeit grenzt es, dieses politische System durch pauschales Urteil in den Geruch des zivilisatorisch Zweitklassigen oder Deklassierten zu bringen und dessen Spitzenpolitiker zu behandeln, als hätten sie sich im Kreml als putschende Marodeure eingenistet.

Nicht Wladimir Putin gebricht es an der Qualifikation, mit dieser Quadriga-Ehrung bedacht zu werden, vielmehr fehlt es dem Preiskomitee an Rückgrat und dessen Kritikern an Fairness, diesem Preisträger gerecht zu werden. Was man dem russischen Ministerpräsidenten auch immer vorhalten mag, ein windiger Opportunist hat sich mit ihm gewiss nicht in die Politik verirrt. Wohl eher jemand mit Konsequenz und Durchsetzungskraft. Als ihm Ende 1999 die Führung Russlands übertragen wurde, hieß das, ein verheerendes Erbe anzutreten, hinterlassen durch den im Westen geschätzten, zuletzt freilich mehr unter dem Fach Folklore als dem der Politik geführten Boris Jelzin. Der beschirmte mit schlurender Stimme und versiegenden Kräften einen archaischen Kapitalismus der Oligarchen und Clans, deren kriminelle Energie über jeden Zweifel erhaben war. Der Kreml verfiel der Cliquenwirtschaft. Statt Entscheidungen zu fällen, wurden die Krankenbulletins des Hausherren kolportiert. Putin hat nicht mehr und nicht weniger getan, als die Regierungsfähigkeit des russischen Exekutive wiederherzustellen, ohne dass es zu inneren Zerreißproben oder gar Blutvergießen kam. Er brach mit dem dekadenten Bonapartismus seines Vorgängers, handelte nüchtern und pragmatisch. Er führte Russland aus wirtschaftlichem Niedergang und moralischer Depression, in die das Land zwischen 1990 und 2000 gefallen war. In der Tat hat er sich als Präsident von Anfang an für eine Diktatur ausgesprochen – die "Diktatur des Gesetzes", wie er es nannte, um einen starken Staat zu haben, der Ungerechtigkeit, Massenarmut und politisches Gangstertum nicht erträgt. Dafür sollte ihm der Westen dankbar sein, weil allein so aus dem größten Land Europas wieder ein berechenbarer Partner wurde, der nicht nur als Rohstofflieferant unverzichtbar ist.

Man könnte es sich leicht machen und einfach schreiben, solange ein amerikanischer Präsident, der im Augenblick drei Kriege führt, mit dem Friedensnobelpreis dekoriert bleibt, hätte Putin den Quadriga-Preis allemal verdient. Doch mit diesem Argument, täte man dem russischen Premier Unrecht.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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