Nur Vasallen lassen sich so behandeln

Afghanistan Der Truppenabzug unter US-amerikanischer Leitung gleicht mehr einer Flucht als einem geordneten Rückzug
Ausgabe 18/2021
Zunächst sollten die US-Soldaten in Afghanistan zum 11. September abziehen. Dann wurde der 4. Juli anvisiert. Weil der Präsident Gefallen daran findet, am Nationalfeiertag die Heimkehr aus Afghanistan verkünden zu können?
Zunächst sollten die US-Soldaten in Afghanistan zum 11. September abziehen. Dann wurde der 4. Juli anvisiert. Weil der Präsident Gefallen daran findet, am Nationalfeiertag die Heimkehr aus Afghanistan verkünden zu können?

Foto: John Moore/Getty Images

Die Lobhudelei, die der Biden-Administration allenthalten zuteilwird, hat deren internationale Politik am wenigsten verdient. Dies gilt erst recht für die proklamierte Rückkehr als westliche Führungsmacht. Wie nicht anders zu erwarten, stößt das in Deutschland bis hin zu den Grünen auf dankbare Ergriffenheit. Als sei reanimiertes Blockdenken kein Relikt des 20. Jahrhunderts, wofür mittlerweile das Label „Anachronismus“ am besten passt. Es könnte amüsieren, wie potenzielle Regierungsparteien ihre Modernität durch traditionelles Lagerdenken in der Außenpolitik parodieren, wäre da nicht Afghanistan. Dort dürfen Bundeswehrsoldaten gerade auskosten, was es bedeutet,unter US-amerikanischem Dirigat die zweite Geige zu spielen.

Zur Erinnerung: Zunächst verzögert die neue US-Regierung einen finalen Truppenrückzug zum 1. Mai, wie ihn die Gesandten Donald Trumps und die Taliban ein Jahr zuvor in Doha ausgehandelt haben. Statt Zeit für ein weiteres Ausharren zu gewinnen, geht durch das Lavieren in Washington Zeit für einen geordneten Ausstieg verloren. Als Joe Biden schließlich entscheidet: Demission noch in diesem Jahr, ist zunächst vom 11. September als Deadline die Rede. Dann wird der 4. Juli anvisiert, zumindest für das Gros der Soldaten. Weil der Präsident Gefallen daran findet, am Nationalfeiertag die Heimkehr aus Afghanistan verkünden zu können?

Absolut synchron dazu kann Deutschland beweisen, dass es als Bündnispartner loyal bis hin zu grenzenloser Demut sein kann. Als im Weißen Haus auf Zeit gespielt wird, verfügt der Bundestag Ende März mit den Stimmen der Unionsparteien, von SPD, FDP und 14 Grünen, das Mandat für die Bundeswehr am Hindukusch bis Anfang Januar 2022 zu verlängern. Da sich bald darauf abzeichnet, dass der konziliant gedehnte Zeitrahmen gar nicht gebraucht wird – es winkt ein früherer Abschied –, wird auch das willig geschluckt. Dann geben die Taliban zu verstehen, wie brüskiert sie sind, dass ein mit ihnen geschlossener Vertrag nicht eingehalten wird. Nach dem 1. Mai werde jeder fremde Soldat auf afghanischem Boden als feindlicher Eindringling betrachtet und angegriffen. Joe Biden muss befürchten, in eine Eskalationsdynamik zu geraten, die zum Bleiben zwingt. Der kurze Weg bis zum 4. Juli scheint ein Ausweg zu sein. Ein dadurch erheblich beschleunigter deutscher Abzug trägt nun Zeichen von Flucht. Alles muss geräumt sein, bevor die schützende US-amerikanische Lufthoheit entfällt. Nur Vasallen, nicht Verbündete können sich in eine derartige, für das eigene Militär hochgefährliche Situation manövrieren lassen.

Diese Chronik einer willigen Gefolgschaft lässt nicht ernsthaft damit rechnen, dass aus den Fehlern der Afghanistan-Politik gelernt, geschweige denn diese schonungslos aufgearbeitet wird. Was im Frühjahr 2021 an Unterwerfung stattfindet, hat im Oktober 2001 bewirkt, dass sich Deutschland in zwei Jahrzehnte Besatzung hineinziehen ließ, die momentan einigermaßen schmählich endet.

Würde Afghanistan als Lektion begriffen, gäbe es aus Berlin eine klare Absage an die Regierung Biden, einen Kalten Krieg mit China und Russland führen zu wollen, um die Überlegenheit des westlichen Systems nachzuweisen. Die irrige Annahme, weil es die gibt, dürfe daran nicht gerüttelt werden, hat Fehlentwicklungen seit 1990 zu verantworten, zu denen sehr viel mehr als das Scheitern in Afghanistan gehört. Nur, wer verfügt über so viel Solidarität mit sich selbst, dass er dies eingesteht? Deutsche Politiker offenbar kaum.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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