Obama und die Büchse der Pandora

Intervention Barack Obama besinnt sich auf George Bush und dessen segensreiche Nahostpolitik. Ein "weitergehender Einsatz" der US-Armee gegen Libyen wird herbeigeredet

Welch phänomenaler Zufall. Im Osten Libyens liefern Rebellen – von ausländischen Re­portern interviewt – druckreife UN-Resolutionssemantik mit den passenden Kausalbezügen ab. Die Rede ist vom Luftraum, der für Gaddafis Flugzeuge gesperrt werden müsse, weil sonst Bomben und humanitärer Notstand drohten. Gaddafis mutmaßliche Machtreste werden nicht nur sturmreif gekämpft, sondern auch geredet. Wer soll den libyschen Luftraum sperren, wenn nicht westliche Militärmacht? Nach Saddam Hussein noch ein arabischer Führer von fremder Hand gestürzt? Der Irak lässt grüßen und wissen, was daraus werden kann. Aber das hindert Amerikaner und Briten offenbar nicht, sich "alle Optionen" offen zu halten. Nachdem er das Deportationslager Guantanamo weiter betreiben lässt, sucht Barack Obama auch durch die Neigung zur Intervention mehr Tuchfühlung zu Vorgänger George Bush. Wer einen "weitergehenden Einsatz der US-Streitkräfte" gegen Libyen nicht auschließen will, der denkt über eine mögliche Blockade libyschen Luftraumes hinaus und tut vor allem eines: Er setzt sich unter Handlungsdruck. Dies gilt erst recht, sollte Muammar al-Gaddafi in den kommenden Tagen in der Cyrenaika verlorenes Terrain zurückgewinnen. Obama könnte sich dann zur Tat getrieben sehen, unabhängig von einem Auftrag des Sicherheitrates, von Augenmaß und Vernunft und der Erinnerung an das irakische Desaster.

Die Botschaft an die Aufständischen von Ägypten bis Jemen oder Bahrain und Oman wäre verheerend, ihr könnt euch wenden, wehren und demokratisieren, soviel ihr wollt: Der große Patron bleibt euch nicht erspart, er ist mitten unter euch, verspricht Führung und vergisst seine Interessen nicht. Seht, wie vorzüglich das im Irak mit Hunderttausenden von Toten funktioniert hat. Durch eine US-Intervention in Libyen wären die arabischen Revolutionen über Nacht einer Zerreißprobe ausgesetzt: Die jahrzehntelangen Schutz- und Schirmherren der Mubaraks, Ben Alis, Salehs wie der autokratischen Emire am Golf wären plötzlich als Avantgarde des Umbruchs umgetopft. Ließen sich unter Umständen als Befreier feiern? Ein solche Verhöhnung wird den demokratischen Aufbruch Arabiens entmündigen, entmutigen, vermutlich sogar spalten. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass Muammar al-Gaddafi ein Eingreifen von außen als Angriff auf Libyen, seine Integrität und Würde, geißeln und zum antiimperialistischen Befreiungskampf rufen wird. Wer ihn erhört, lässt sich schwer absehen. Aber viele aus Gaddafis Gefolgschaft haben wenig oder nichts zu verlieren. Wenn wirklich ausländische Freiwillige als Jihadisten für Gaddafi kämpfen, werden sie dem imperialen Eroberer ebenso wenig schenken, wie es die Glaubensbrüder ab Frühjahr 2003 im Irak taten. Eroberer leben gefährlich, ob in Bagdad oder in Tripolis. Ist die Büchse der Pandora erst einmal geöffnet, sind bis auf weiteres alle Messe gesungen.

Eine Handhabe zur Interven­tion bietet das vom UN-Gipfel 2005 sanktionierte Prinzip der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect). Es gibt dazu ein mühsam ausgehandeltes, allerdings nicht völkerrechtlich verbindliches UN-Dokument, das eine Gratwanderung zwischen staatlicher Souveränität und dem Anspruch einer internationalen Gemeinschaft folgt, „kollektive Maßnahmen über den Sicherheitsrat zu ergreifen, falls friedliche Mittel sich als unzureichend erweisen und die nationalen Behörden dabei versagen, ihre Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsver­brechen, ethnischer Säuberung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu schützen“.

Noch fehlt der Präzedenzfall, um durchzuspielen, was sich mit Responsibility to Protect anfangen lässt. Der Aufstand und Gaddafis Überlebenskampf bieten eine verführerische Vorlagen, ihn zu schaffen. Auch es den Amerikaner und ihren Verbündeten wie Großbritannien schwerfallen dürfte, im UN-Sicherheitsrat Mehrheit und Mandat zu bekommen. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Frage, ob einzelstaatliche Souveränität durch von außen wahrgenommene Souveränität relativiert oder ersetzt werden soll. Und das ausgerechnet von Staaten, die bis heute im Irak und in Afghanistan überzeugend nachweisen, wie sie mit deren Souveränität umzugehen verstehen.


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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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