Alles, was im Moment geschieht, ist dazu angetan, die Ansichten der russischen Führung über das Verhalten des Westens zu bestätigten. Ostentativ ruft US-Präsident Obama für den 24. März zu einem G-7-Krisengipfel in Den Haag. Das Unterfangen wirkt wie ein Indiz dafür, dass eine deutsche Federführung beim westlichen Krisen-Management offenbar nicht unbeschränkt gilt und manchen Führungsanspruch nicht ersetzen kann, so sehr der sich auch erschöpft haben mag. Dass sich die G 7 treffen wollen, entspringt dem Bedürfnis nach Schulterschluss auf höchster Ebene. Die Reihen werden geschlossen, eine Weltgemeinschaft steht gegen Russland, so die Botschaft. Frontenbildung nennt man das gewöhnlich.
Ein Vorgang, dem eines schon jetzt a
gang, dem eines schon jetzt attestiert werden kann: Es wird davon keine entspannungsfördernde Wirkung ausgehen. Moskau soll spüren, isoliert, relegiert und geächtet zu sein. Es hat seinen Schuldspruch in der Tasche, über das Strafmaß aber, da wird noch befunden – von Juroren, die freilich den ganz großen Stein nicht werfen sollten, weil sie Gefahr laufen, sich selbst zu treffen. Schnell und wirkungsvollWer der begründeten Auffassung sein sollte, eine internationale Krise wie diese brauche eine Exit-Strategie, wird sich eingestehen müssen, dass sie auf diese Weise unauffindbar bleibt. Wirtschaftssanktionen und die verbale Mobilmachung gegen Moskau ebnen den Weg in eine Konfrontation von Geltungsmacht hier und Geltungsmacht dort, in einen verstärkten Grabenaushub zwischen West und Ost. Je weiter man sich hinein redet, hinein steigert und vor allem hinein flüchtet – desto schwerer wird es sein, den Ausweg zu finden. Dabei geht es dem Westen erkennbar nicht vorrangig um die Krim, deren Eingliederung in die Russische Föderation vorerst unumkehrbar sein dürfte. Was viel mehr schmerzt, bohrt, verstört und nach Fassung ringen lässt, ist das Gefühl, von Russland vorgeführt zu werden und Konsequenzen des Ukraine-Coups hinnehmen zu müssen, mit denen zu rechnen war, so aber augenscheinlich nicht gerechnet wurde. Es ließ sich aus Wladimir Putins Rede am 18. März vor dem Föderationsrat bei aller Rechtfertigung auch Genugtuung heraushören, dem Westen so demonstrativ, so schnell und so wirkungsvoll in die Parade gefahren zu sein. Und dies zum ersten Mal seit Kollaps und Selbstzerstörung der Sowjetunion Ende 1991. Die Reaktionen auf diese Unbotmäßigkeit sind entsprechend. Es wird immerhin eine Weltordnung in Frage gestellt, in der sich der Westen seit mehr als zwei Jahrzehnten das Recht auf das letzte Wort und – wenn es sein muss – die entscheidende, letzte Tat ausbedungen hat. Putin sorgt für Unruhe, weil er diese selbstgefällige autoritäre Dominanz nicht nur in Frage, sondern bloß stellt. Man sehe sich allein den gestrigen Auftritt von US-Vizepräsident Joe Biden in Warschau an, ein rhetorischer Fleißakt sondergleichen, während sein Präsident noch nicht einmal den Ausschluss Russlands aus den G 8 zustande bringt. Dazu ein bis zur Peinlichkeit devoter Premier Tusk als schlagender Beweise für das frappierende Selbstbewusstsein der von einstiger Moskauer Despotie befreiten Aufsteiger in Osteuropa. Jede Menge BlindgängerGleich neben dem Warschauer Schaufenster fürs gute Einvernehmen fiel eine Ankündigung vom Himmel. Sie galt dem fortgesetzten Aufbau eines westlichen Raketenabwehrsystems in Osteuropa bis 2018. Es passt in die derzeitige Situation: Als Reaktion auf die Rückkehr der Krim nach Russland wird ein solches – besonders den USA zu verdankende – Projekt in NATO-Staaten wie Polen und Tschechien vorangetrieben. Wenn es noch eines Nachweises bedurft hätte, dass sich ein solches System immer schon – teilweise oder vollends – gegen Russland richtete, dürfte er jetzt erbracht sein. Moskau hatte sich schon darüber beschwert, als das Vorhaben noch von der Bush-Administration forciert wurde. Es richte sich gegen die gefährlich aufstrebenden Atommächte Nordkorea und Iran, hieß es damals aus Washington. Nur existierten Raketen mit einer Reichweite von 5.000 bis 8.000 Kilometern, die Europa hätte erreichen können, seinerzeit in keinem der beiden Problemstaaten. Woran sich bis heute nichts geändert hat. Als Wladimir Putin im Februar 2007 seinen spektakulären Auftritt auf der Münchner Sicherheitskonferenz hatte und eine Rede hielt, die sich in manchen Aussagen zum Verhalten des Westens gegenüber Russland nicht im Geringsten von den Äußerungen am 18. März vor dem Föderationsrat unterschied, war der Satz zu hören: „Wie jeder Krieg hinterließ uns auch der Kalte Krieg manchen Blindgänger. Ich meine damit ideologische Stereotypen, doppelte Standards und Schablonen des Blockdenkens.“ Seither hat sich die Zahl dieser Blindgänger weder vermindert noch wurden sie entschärft.