Ohne Takt kein Pakt

USA/EU „Der Westen“ hat sich als Lager überlebt. Er wird den Interessen vieler Staaten nicht mehr gerecht, wie der Streit um den Iran-Vertrag zeigt
Ausgabe 20/2018
Internationale Politik ohne Amerikaner - daran wird man sich in Zukunft gewöhnen müssen
Internationale Politik ohne Amerikaner - daran wird man sich in Zukunft gewöhnen müssen

Foto: Yves Herman/AFP/Getty Images

Wer die USA weiterhin als Verbündete betrachtet, paktiert seit dem 8. Mai mit Unberechenbarkeit, Willkür, Rechtsbruch und hegemonialer Verstiegenheit. Was im Umkehrschluss bedeutet: Seit Donald Trump aus dem Atomabkommen mit Iran ausgestiegen ist, kann die eigenen Sicherheitsbedürfnisse nur wahren, wer aus der Allianz mit den USA aussteigt. Hat „der Westen“ damit als monolithisches Lager aufgehört zu existieren? Augenscheinlich hat der US-Präsident nicht nur einen Vertrag, sondern auch ein Bündnissystem gekündigt, das er für verzichtbar hält, sofern es nicht als Handlanger seiner America-First-Manie in Betracht kommt.

Seit längerem schon ist das westliche Lager kein homogener Verbund und konsistenter Weltenlenker mehr. Nun kommt ihm durch das Verhalten der Führungsmacht auch noch die Fähigkeit abhanden, kollektive Interessen zu haben und wahrzunehmen. Das ist sicher kein Weltuntergang, ein globales Risiko allerdings schon, hält man sich vor Augen, welche Kollateralschäden die Absage an einen Iran-Vertrag der ausgleichenden Gerechtigkeit heraufbeschwört. Ein zuletzt immer mühsamer aufrechterhaltenes Nichtweiterverbreitungsregime bei Kernwaffen wird durch den Vertragsbruch schwer beschädigt. Von der Unterminierung des Kernwaffensperrvertrages (NPT) ganz zu schweigen.

Bekanntlich werden Bündnisse geschlossen, um eigenen Interessen zu dienen. Sie müssen überprüft, notfalls verändert werden, falls dieser Zweck nur noch unvollkommen erfüllt oder verletzt wird. Sie haben ausgesorgt, schaden sie der staatlichen wie gesellschaftlichen Existenz eines, mancher oder aller Beteiligten. Das westliche Paktsystem hinterlässt zusehends den Eindruck, auf diesen Effekt bedacht zu sein. Nur ist damit nicht – wie im Augenblick gern suggeriert oder bejammert – die multilaterale Ordnung an sich zerstört, sondern die transatlantische Armierung und Dominanz innerhalb derselben. Dabei steht außer Zweifel: Droht Selbstzerstörung zur Raison d’être eines Systems zu werden, ist das kein Humus zum Wachsen und Gedeihen, schon gar keine Garantie zum Selbsterhalt.

Ein Mantel voller Irrtümer

Wieder einmal zeigt sich, wie anachronistisch es war, nach 1990 mit dem östlichen nicht zugleich das westliche Bündnisgefüge aufzugeben, als das Zeitalter, dem beide entstammten, seinen Abschied nahm. Wie verfehlt mutet heute die damalige Überzeugung an, das Überlebende sei nicht nur das Überlebenswerte, sondern gleichsam das Überlebensfähige. Statt der Ratio im Blick auf das Kommende eine Chance zu geben, rauschte ein ominöser Mantel der Geschichte, gefüttert mit bestürzenden Irrtümern.

Geschichte ist nun einmal eine Wiederholungstäterin und wird sich die Versuchung nie austreiben lassen. Wie das vor fast drei Jahrzehnten vorhersehbar war, ist die bipolare einer multipolaren Welt konkurrierender Machtzentren gewichen. Diese suchen ihr Heil immer häufiger in temporären, pragmatischen und volatilen Allianzen mit begrenzten Zielen und regionalem Aktionsradius. Das überkommene westliche Lager mit seinem institutionalisierten Beharrungsvermögen steht nicht zuletzt dadurch zur Disposition. Die vom Syrien-Krieg ausgelöste Allianz zwischen Russland, Iran und der Türkei ist dafür nur ein Beleg. Und was spiegelt das Drängen des französischen Präsidenten auf eine eigenständige europäische Verteidigungsidentität und -union anderes wider als die Überzeugung, dass die NATO zum fossilen Koloss verkam? Wenn es Russland nicht gäbe, müsste die Großmacht im Osten erfunden werden, um dem Nordatlantikpakt die fortwährende Sinnstiftung zu gönnen.

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    Gnadenfrist: Trump kündigt Ende Januar an, dass er bis zum 12. Mai entscheiden werde, ob sich die USA weiter an den Atomvertrag halten

    Fotos (M): AFP/Getty Images

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    Luftangriff: Israels Luftwaffe greift am 10. Februar Ziele in Syrien an, was sich fortan ständig wiederholt und gegen iranisches Militär richtet

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    Achsenmächte: Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman holt sich am 21. März im Weißen Haus Absolution für seine Anti-Iran-Front

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    Hardliner: Am 23. März wird mit John Bolton ein seit jeher resoluter Gegner des Atomdeals zum Nationalen Sicherheitsberater ernannt

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    Militärschlag: Die USA, Frankreich und Großbritannien attackieren am 14. April syrisches Gebiet als Vergeltung für einen mutmaßlichen Gifteinsatz

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    Bittgang: Bei Treffen mit Präsident Macron und Kanzlerin Merkel lässt sich Trump Ende April nicht dazu bewegen, vertragstreu zu bleiben

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    Vertragsbruch: Der von Trump am 8. Mai zelebrierte Ausstieg aus dem Atomabkommen zeigt, wie unberechenbar die USA mit ihm geworden sind

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Umso mehr gilt: Wem die Bündnis- als existenzielle Not im Nacken sitzt, der muss dies nicht unbedingt spüren und begreifen. Entsprechend wird gegenwärtig in Sachen Iran manch ungedeckter Wechsel lanciert. Zum Beispiel mit der Versicherung, unter den obwaltenden Umständen sei das vereinte Europa die letzte Bastion eines vertragskonformen Westens. Was die Frage aufwirft, wie soll eine Staatenunion solch hochkarätiger Mission gewachsen sein, die selbst erodiert, Mitglieder verliert und einen Zugewinn an Dissidenz nicht nur in Osteuropa zu verzeichnen hat? Führungskräfte aus EU-Kernstaaten wie Angela Merkel und Emmanuel Macron oder der britische Außenminister Boris Johnson sind soeben in Washington ausnahmslos mit dem Ansinnen gescheitert, der Vernunft eine Bresche zu schlagen und Donald Trump für Vertragstreue zu begeistern. Wenigstens haben sie der Gewissheit zum Durchbruch verholfen, dass die USA strategische Entscheidungen wie die Rückkehr zur Konfrontation mit Iran eben nicht mit europäischen Alliierten, sondern mit arabischen Partnern wie Israel, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten abstimmen.

Ein weiterer ungedeckter Wechsel gerät mit dem steten Beteuern in Umlauf, die drei EU-Vertragsstaaten – Frankreich, Großbritannien und Deutschland – würden das Iran-Abkommen vor dem endgültigen Absturz bewahren. Ist man sich im Klaren darüber, was es heißt, nicht nur an Auflagen für die iranische Atomwirtschaft festzuhalten, sondern ebenso an Sanktionsabbau und -verzicht? Angesichts der von den USA angedrohten Gegenmaßnahmen läuft das auf einen Kraftakt sondergleichen hinaus. Player wie Airbus und Siemens oder die französische Mineralölfirma Total, die mit Iran Geschäftsbeziehungen unterhalten, müssten geschützt, gegebenenfalls entschädigt werden. Das mit Trumps Sanktionsfuror exekutierte US-Recht soll schließlich „extraterritorial“ gelten und demnach jeden treffen, der dagegen verstößt, bevorzugt global agierende Konzerne.

Verrückt nach Sanktionen

Legt sich die EU nicht politisch und finanziell ins Zeug, auf dass europäische Unternehmen in Iran bleiben und dem Druck der USA standhalten, werden die um ihrer selbst willen den Rückzug antreten. Donald Trump hat bereits eine Executive Order unterschrieben, nach der jedes ausländische Unternehmen, das sich weiter Verträgen mit Iran verpflichtet fühlt, bestraft werden soll. Bei bereits bestehenden Wirtschaftsverbindungen wird eine Frist von 90 bis 180 Tagen eingeräumt, um diese zu beenden. Außerdem hat das US-Finanzministerium ein Dossier herausgegeben, dessen Kernstück ein Zeitplan für die Wiedereinführung von umfassenden Sanktionen gegen jedweden Wirtschaftsverkehr mit iranischen Partnern ist. Wie John Bolton, Trumps Nationaler Sicherheitsberater, zu verstehen gibt, sollen die Sanktionen bei neuen Geschäftskontakten umgehend greifen, für bestehende Verträge nach besagter Übergangszeit. An die Resolution 2231 des UN-Sicherheitsrates, die den Vertrag vom 14. Juli 2015 zu einem völkerrechtlichen Abkommen erhob, fühlen sich die USA demnach nicht mehr gebunden. „Wir sind aus dem Deal raus“, ließ Bolton wissen.

Die unilaterale Obsession der US-Regierung schleift mit ihren Sanktionsedikten Heiligtümer des Weltkapitalismus – den freien Markt, den freien Handel, das freie Spiel der Kräfte, dazu die Freiheit ideologischer Seelsorger, diese Ordnung zu verklären. Mehr als nur ein Indiz dafür, wie schwindsüchtig der Sinn geworden ist, den man Begriffen wie „westliche Allianz“ oder „freie Marktwirtschaft“ unterlegt. Beide Systeme werden nicht nur in Frage gestellt – sie finden sich einer Praxis unterworfen, die sie nachhaltig widerlegt.

Frankreich, Großbritannien und Deutschland könnten ein Zeichen des Widerstandes setzen, indem sie ein Investitionsprogramm für Iran auflegen. Dies wäre ein Statement und ließe ein wenig von dem kompensieren, was die USA mit ihren Repressionen anrichten wollen. Es würde eine Front der Standhaften geben, die als Bündnis auf Russland wie China angewiesen und auf der Höhe der Zeit wäre. Aber wer rechnet ernsthaft mit solcher Entschiedenheit? Sie würde schließlich den „westlichen Interessen“ im Nahen Osten zuwiderlaufen und das Verhältnis zu Israel schwer belasten. Dessen Regierung hat die Gunst der Stunde maßgeblich herbeigeführt und wünscht nun auszukosten, was im Sog der Konfrontation – siehe Einweihung der US-Botschaft in Jerusalem – so alles möglich ist.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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