Es war nur eine Frage der Zeit, dass die türkischen Machthaber noch aggressiver vorgehen, um die Demokratische Partei der Völker (HDP) weiter zu kriminalisieren und die beiden Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtas sowie Figen Yüksekdag festnehmen zu lassen.
Dass der vor allem in der kurdischen Gemeinschaft verankerten Partei durch Wahlen legitimierte Politiker genommen werden – mit einem solchen Enthauptungsschlag war zu rechnen. Man kann das Ganze als einen Akt der Willkür deuten, muss jedoch ebenso von der unbeirrbaren Konsequenz reden, mit der Präsident Recep Tayyip Erdoğan seinen autoritären Durchmarsch vorantreibt – dabei offenbar erst innehalten will, wenn jedwede Opposition abgeräumt ist.
Doppelte Standards
Es gibt zwar gemessen an einschlägigen historischen Mustern noch kein Ermächtigungsgesetz, aber eine Ermächtigungspolitik, die das diktatorische Prinzip kategorisch bedient, praktiziert von einem Mitglied der westlichen Allianz, einem Verbündeten der USA wie Deutschlands, die sich mindestens der Beihilfe durch Unterlassung schuldig machen, wenn nicht aktiver Beihilfe durch die Tolerierung eines Wertebruchs, wie er im Fall des Falls Gegenspielern wie Russland mit aller propagandistischen Wucht angekreidet würde.
Es erscheint fast müßig, die Praxis der doppelten Standards überhaupt noch zu erwähnen bzw. zu reklamieren. Es soll der Hinweis reichen, dass die systemimmannte Verlogenheit und Doppelzüngigkeit einer der Gründe dafür ist, dass in der Türkei geschehen kann, was geschieht.
Die Handhabe für die behördlichen Ausschreitungen gegen die HDP bietet ein auf Betreben Erdoğans im Mai gefasster Parlamentsbeschluss, wonach die Immunität der HDP-, aber auch anderer Abgeordneter nach Belieben aufgehoben werden kann. Was seinerzeit in der EU zwar Stirnrunzeln hervorrief, aber sonst nichts.
Unverzichtbarer Partner
Die Bundesregierung hat zwar Mitte der Woche die Tonfall gegenüber Ankara leicht verschärft, als sich abzeichnete, dass die lasche Reaktion auf die Festnahme von Journalisten der linksliberalen Cumhuriyet in Deutschland auf Unverständnis, teilweise Protest stieß. Doch hieß es weiter, dass Pressefreiheit „zentral für jeden Rechtsstaat“ sei, womit aus eigensüchtigen Motiven der Eindruck erweckt wurde, die Türkei sei noch ein Rechtsstaat oder zumindest noch nicht ganz aus diesem Klub ausgeschert.
Nur, mit welchen politischen Freiheiten oder welchem medialem Pluralismus kann die AKP-Regierung derzeit aufwarten? Wie gesagt, moralische Ächtung kann gegen die realpolitische Unterfütterung zwischen Berlin und Ankara getroffener Entscheidungen wenig bis nichts ausrichten. Und die von der Regierung Merkel favorisierte lautet nun einmal: Präsident Erdoğan bleibt ein unverzichtbarer Partner, komme, was wolle.Und hat gilt nicht allein wegen des Flüchtlingsabkommens
Derzeit signalisiert die türkische Regierung ihren Verbündeten in den USA wie in Europa, dass sie ihrem unumschränkten Führungsanspruch im Inneren wie ihren regionalen Interessen mit eisernem Willen Geltung zu verschaffen wünscht.
Opposition gleich Hochverrat
Sie will an der Neuordnung Syriens und des Irak nicht nur Anteil nehmen, sondern diesen geostrategischen Umbruch ihren Stempel aufdrücken, um sich endgültig als Regionalmacht zu etablieren. und europäische Ambitionen noch besser als bisher mit diesem Status abgleichen zu können. Dazu braucht es ein resolutes Durchsetzungsvermögen, das sich über jeden Anflug von innerem Widerstand hinwegsetzen kann, sollte der von Oppositionsparteien ausgehen oder in Medien artikuliert werden.
Es gilt das Credo, Opposition grenzt an Hochverrat oder ist es und kann entsprechend geahndet werden. Das ist die Botschaft, die von den Festnahmen der HDP-Führer und den Repressalien gegen die Journalisten der Zeitung Cumhuriyet ausgeht. Die neoosmansische Option braucht eine adäquate politische Ordnung, die Anleihen bei der osmanischen Herrschaft von einst nicht scheut. Offenbar ist es aus Sicht von Staatschef Erdoğan an der Zeit, auf die nächsten Schritte bedacht zu sein und Entscheidungen zu treffen, die unumkehrbar sind.
Stabilitätsanker Nahost
Mit dieser Intention dürfte auch seine Ankündigung zu tun haben, das Parlament in Ankara über die Wiedereinführung der Todesstrafe abstimmen zu lassen. Da es zweifelhaft erscheint, ob mit der dafür erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit zu rechnen ist, könnte die Absicht Erdogans darin bestehen, über eine solche Zäsur für die türkische Justiz per Volksabstimmungen befinden zu lassen. Ein Referednum als Krönungsakt, es ließe sich als Absolution für all das deuten, was sich das Regime seit dem gescheiterten Putsch am 15./16. Juli an omnipotenter Vollendung zugeschanzt hat.
Die im Land herrschende Stimmung lässt Erdogan vermutlich nicht zu Unrecht auf einen durchschlagenden Erfolg hoffen, der wiederum den außenpolitischen Absichten dienlich wäre. Man kann mit solchem Rückhalt nahöstliches Neuland besser unter den militärischen Pflug nehmen und sich den Europäern als Stabilitätsanker im nahöstlichen Krisenbogen empfehlen.
Warum sollten sich unter diesen Umständen nicht ungeahnte Konditionen für wie auch immer geartete Bindungen an die EU ergeben? Sie müssen nicht den Charakter einer Mitgliedschaft, sondern auch als privilegierte Partnerschaft firmieren, zumal sich die AKP Erdogans nicht zuletzt anbietet, bei möglichen gravierenden Machtverlusten des IS das entstehende Vakuum im Nordirak und Nordsarien zu füllen.
Siehe Mossul
Der Anspruch auf den eigenen Part bei der Befriedung in Mossul und darüber hinaus wurde in Ankara bereits formuliert. Und dass die AKP einen gemäßigten, staatstragenden sunnitischen Islam verkörpert, behauptet sie schon lange. Jetzt will sich der eben hegemonial ausleben, nach innen und außen. Wie gesagt, Erdoğan bleibt ein Partner.
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