Natürlich nutzt Baschar al-Assad die Gunst der Stunde. Wenn Präsident Erdogan seine Armee aufmarschieren lässt, um in Afrin fremdes Territorium zu erobern, kann es nicht abwegig sein, um das eigene, von Islamisten gehaltene Ost-Ghuta zu kämpfen. Hier die Intervention, dort die Eskalation. Vermutlich verzichtet Russland darauf, das türkische Vorgehen in Nordsyrien zu verurteilen, weil Erdogan den Versuch Assads toleriert, den Großraum Damaskus vollständig unter seine Kontrolle zu bringen. Die Leidtragenden sind Tausende von Zivilisten, in Afrin wie in Ost-Ghuta. Der Unterschied, wenn überhaupt, ergibt sich durch die Zahl der Betroffenen, die Zahl der Opfer, das Ausmaß menschlichen Leids.
Tendenziöse Wahrnehmung
Wieder einmal bestätigt sich, wozu dieser Krieg führt, wenn dessen Paten und Protagonisten nicht daran denken, damit aufzuhören, bevor sie ihre Interessen so bedient sehen, wie sie das – gemessen an ihrem Engagement und ihrer Verstrickung – für geboten halten. Den Preis dafür zahlt die Zivilbevölkerung wie in jedem anderen Krieg.
Wenn man dies verdammt und verurteilt, sollte aber der Wahrheit die Ehre gegeben werden. Derzeit jedoch wird in der medialen Reflexion der Umstand ausgeblendet, dass von Anti-Assad-Kräften islamistischen Zuschnitts beherrschte Städte und Stadtteile behauptet werden, indem die dort lebende Zivilbevölkerung als Faustpfand missbraucht wird. Das war im syrischen Ost-Aleppo nicht anders als im irakischen Mossul. Und ist so beim Kampf um Ost-Ghuta. In Ost-Aleppo versuchten 300.000 Menschen zu überleben, in Mossul mehr als eine Million, in Ost-Ghuta sollen es etwa 400.000 sein. Wie das außerhalb Syriens dargestellt wird, hängt von den Angreifern ab und eigener Parteilichkeit. Demnach firmiert Ost-Ghuta als „Rebellengebiet“, während Mossul „eine IS-Hochburg“ war.
Ost-Aleppo und Ost-Ghuta wurden bzw. werden von der russischen wie syrischen Luftwaffe „ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung“ bombardiert. In Mossul hingegen holten US-Kampfjets „zu gezielten Luftschläge gegen Stellungen des Islamischen Staates“ aus. Zuweilen war von „letzten Widerstandsnestern des IS“ die Rede. Die zivilen Opfer dieser Schläge spielten keine große Rolle oder wurden nur am Rande erwähnt. Ost-Aleppo wurde Ende Dezember von der syrischen Armee „zurückerobert“, Mossul Anfang Juli 2017 „aus den Händen terroristisch agierender sunnitischer Extremisten befreit“.
Chance Deeskalationszone
Soeben ließ Kanzlerin Merkel dem Assad-Regime durch ihren Regierungssprecher Seibert ausrichten, dass es mit der Offensive in Ost-Ghuta „keinen Kampf gegen Terroristen“, sondern einen „Feldzug gegen die eigene Bevölkerung" führe. Vergleichbare Appelle Merkels an den irakischen Premier al-Abadi, dem der Vormarsch beim Kampf um Mossul nicht genug schnell ging, und der deshalb zu einem härteren Vorgehen aufforderte, was die vorwiegend sunnitische, teils mit dem IS sympathisierende Bevölkerung nicht schonte, sind nicht überliefert.
Vollkommen ausgeblendet bleibt, worin die Konsequenzen bestanden, als sich Mitte September 2017 Russland, Iran und die Türkei auf die Einrichtung von vier Deeskalationszonen in Syrien einigten. Eine davon war Ost-Ghuta, was Verhandlungen zwischen der Assad-Regierung und den dort residierenden Islamisten zu Folge hatte. Denen war ein freier Abzug angeboten, ohne dass sie ihre Waffen hätten niederlegen müssen. Ein vergleichbares Verfahren gab es Ende 2016 in Ost-Aleppo und wurde schließlich angenommen. In Erinnerung sind lange Buskonvois, die damals die Kampfzone verließen. Für Ost-Ghuta gab es zudem ab Oktober humanitäre Korridore, die Hilfsorganisationen nutzen konnten, um Versorgungsgüter zu den eingeschlossenen Bewohnern zu bringen.
Doch zogen sich die Sondierungen über Monate hin und blieben ohne Ergebnis. Stattdessen wurden Innenstadtbezirke von Damaskus immer wieder aus Ost-Ghuta mit Raketen und Granaten beschossen. Kein Angebot für eine Feuerpause, sondern das Vorspiel für eine Schlacht, die sich irgendwann nicht mehr aufhalten ließ, weil niemand sie aufhalten wollte.
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