Vor seinen Angeboten rette sich, wer kann. Doch wer kann das schon? Und vor allem, wer darf es? Die EU eigentlich nicht. Schließlich will die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geopolitisch hoch hinaus. Insofern müsste ihr die Intention Emmanuel Macrons entgegenkommen, dass die Kernwaffenmacht Frankreich die Nichtkernwaffenmacht EU unter ihren nuklearen Schutzschirm nimmt. Es solle eine „echte strategische Kultur der Europäer“ geben. Um damit den bisher aufgespannten Atomschirm der USA zu ersetzen?
Macrons Offerte – unterbreitet vor wenigen Tagen an der Pariser École Militaire, als dort an den Aufstieg zur Nuklearmacht vor 60 Jahren erinnert wurde – passt zu der seit längerem erkennbaren Pariser Passion, Europa durch militärische Selbstermächtigung nicht in, sondern weithin neben der NATO weiter vorn im weltpolitischen Ranking zu platzieren. Das schließt die Erfahrung ein, von Deutschland ausgebremst zu werden. Zuletzt wurde das im Dezember deutlich, als Kanzlerin Merkel im Bundestag einen transatlantischen Treueschwur leistete, der fast gespenstisch wirkte. In surrealer Verklärung blieb ausgeblendet, dass Donald Trump in seinem Verhältnis zum Nordatlantikpakt, bei der Iran- oder Syrien-Politik die europäischen Verbündeten ebenso wenig als Partner achtet wie beim jüngst verkündeten Nahost-Plan.
Die Entfremdung schreitet voran. Wie weit, wie nachhaltig, wie irreversibel? Das beschäftigt nicht zuletzt die 56. Münchner Sicherheitskonferenz an diesem Wochenende, die Frankreichs Präsidenten direkt dazu hören kann, der erstmals daran teilnimmt. Macron dürfte dabei mehr in die Waagschale werfen als das Arsenal der Force de frappe, folgt er doch mittlerweile einem Europa-Begriff, der Russland nicht ausklammert. Was vernünftig klingt. Denn das vereinte Europa ist nicht das tatsächliche Europa.
Will die EU in geopolitischen Dimensionen denken und handeln, sollte sie sich dessen bewusst sein, um wahrgenommen zu werden. Für Macron jedenfalls ist mehr Einvernehmen mit Moskau ein Weg, ein relevanter Akteur zu sein, der im Schatten der bipolaren Rivalität zwischen den USA und China nach Freiräumen sucht. In denen müsse man sich Geltung verschaffen. Dazu jedoch wäre zunächst einmal viel Realismus nötig, um anzuerkennen, dass man auf Russland mehr angewiesen ist als umgekehrt. Präsident Putin hat den Status einer Weltmacht i. A. kassiert und sich in Weltregionen etabliert, bei denen die EU zwar unablässig mitredet, aber ohne wirkliche Macht ist. Der ignorante Umgang der Türkei mit den Ergebnissen der Berliner Libyen-Konferenz ist dafür nur ein Beleg.
Da versucht es Macron nachvollziehbar mit einem Gaullismus des 21. Jahrhunderts, der nicht mehr – wie im Kalten Krieg – die starre Konfrontation der Blöcke zu überwinden, sondern zweckmäßige Allianzen zu begründen sucht. Um in dieser Hinsicht an einen Partner wie Russland heranzutreten, braucht er freilich das Mandat der Europäischen Union, das ihm Deutschland ebenso verweigern dürfte wie das Gros der osteuropäischen Mitgliedsstaaten. Ob sich diese Blockade auflösen lässt durch den in Aussicht gestellten nuklearen Schild, darf bezweifelt werden.
Schließlich ist in Paris nicht daran gedacht, eine französische Kernwaffenmacht zu europäisieren. Sie bleibt weiterhin Ausweis nationaler Souveränität und – wenn man so will – auch Exklusivität.
Kommentare 5
Das andauernde Versagen der europäischen diplomatischen außenpolitischen Wege der Befriedung von Konflikten noch bevor es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommt, ist nicht nur bedauerlich sondern zeugt auch von der Unfähigkeit aus den unbeschreiblichen Leiden der vergangenen Welt- und Nationalen Kriege die humanistischen Lehren zu ziehen.
Eine Europäische Union deren Ziel die Aufrüstung ist und die keinen Gedanken an eine mögliche Entmilitarisierung des Europäischen Kontinent den Europäern vermittelt, widerspricht aus meiner Sicht dem Grundverständnis von einem friedlichen Kontinent aller 720 Millionen Europäer.
Alles wie gehabt: Die Bellizisten können einfach keine gescheite Kriegszieldebatte führen. Wie 1914. Und dann dieses Vokabular: "Verantwortung", "strategische Kultur", "ängstliches Herz", usf. So ein Geschwurbel. Wo haben die Militaristen in den letzten fünfzig Jahren auf der Welt mal ein Problem gelöst?
Ich halte es für ein Märchen, dass Putin ein Europa ohne atomarem Schutzschirm -egal ob durch USA oder Frankreich - ernst nehmen geschweige denn so einer EU beitreten würde.
Iran und Nord-Korea beweisen gerade, dass man nur mit eigenen Atomwaffen ernst genommen wird. Solange die Welt nicht im Rahmen der UNO eine generelle Abschaffung aller Atomwaffen beschließt und vor allem auch durchsetzt, wird sich an diesem Befund nichts ändern.
Da Frankreich in der EU weder das einwohnerstärkste noch das ökonomisch potenteste Land ist, scheint es mir vernünftig, dass es sein Alleinstellungsmerkmal "Atommacht" in die europäische Waagschale einbringt.
"Ich halte es für ein Märchen, dass Putin ein Europa ohne atomarem Schutzschirm -egal ob durch USA oder Frankreich - ernst nehmen geschweige denn so einer EU beitreten würde."
Da haben Sie aber Einiges nicht mitbekommen. Russland hatte der EU mehrfach die Hand ausgestreckt. Nicht nur von einem gemeinsamen Wirtschaftsraum, sondern auch von einer gemeinsamen Sicherheitsarchitektur war die Rede. Es dürfte sich eigentlich bereits herumgesprochen haben, wer diese Hand immer wieder ausgeschlagen und statt dessen aggressiv-eskalierend geantwortet hat.
"Iran und Nord-Korea beweisen gerade, dass man nur mit eigenen Atomwaffen ernst genommen wird. Solange die Welt nicht im Rahmen der UNO eine generelle Abschaffung aller Atomwaffen beschließt und vor allem auch durchsetzt, wird sich an diesem Befund nichts ändern."
Dass der Iran bereits Atomwaffen hat ist mir neu. Und ich bin mir sicher, dass die Region um Einiges friedlicher wäre, würde die westliche Welt nicht auch dort aggressiv zündeln. Und schliesslich: Wurde nicht in der UNO ein generelles Atomwaffenverbot beschlossen? Dass die Durchsetzung dessen vor allem an der Verweigerung des Westens scheitert, das dürfte doch ebenso offensichtlich sein.
Zu Ihrem ersten Absatz: ja. So ist das eben, wenn man nur Vasall ist und nicht souverän.
Teil II: Sehe ich nicht ganz so. Ich halte die russische Diplomatie und Aussenpolitik (seit den letzten 21 Jahren) für ziemlich rational und sicherheitsbewusst. Ich bin überzeugt, dass jedes europäische Entgegenkommen, sofern es denn ehrlich wäre, entsprechend gewürdigt würde.