Pariser Passion

Frankreich Macrons Atomwaffenplan ist mehr Ausdruck nationaler Souveränität als ein Schutzschirm für Europa
Ausgabe 07/2020
Ist das Arsenal oben, wird man dich loben
Ist das Arsenal oben, wird man dich loben

Foto: Gonzalo Fuentes/Pool/AFP/Getty Images

Vor seinen Angeboten rette sich, wer kann. Doch wer kann das schon? Und vor allem, wer darf es? Die EU eigentlich nicht. Schließlich will die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen geopolitisch hoch hinaus. Insofern müsste ihr die Intention Emmanuel Macrons entgegenkommen, dass die Kernwaffenmacht Frankreich die Nichtkernwaffenmacht EU unter ihren nuklearen Schutzschirm nimmt. Es solle eine „echte strategische Kultur der Europäer“ geben. Um damit den bisher aufgespannten Atomschirm der USA zu ersetzen?

Macrons Offerte – unterbreitet vor wenigen Tagen an der Pariser École Militaire, als dort an den Aufstieg zur Nuklearmacht vor 60 Jahren erinnert wurde – passt zu der seit längerem erkennbaren Pariser Passion, Europa durch militärische Selbstermächtigung nicht in, sondern weithin neben der NATO weiter vorn im weltpolitischen Ranking zu platzieren. Das schließt die Erfahrung ein, von Deutschland ausgebremst zu werden. Zuletzt wurde das im Dezember deutlich, als Kanzlerin Merkel im Bundestag einen transatlantischen Treueschwur leistete, der fast gespenstisch wirkte. In surrealer Verklärung blieb ausgeblendet, dass Donald Trump in seinem Verhältnis zum Nordatlantikpakt, bei der Iran- oder Syrien-Politik die europäischen Verbündeten ebenso wenig als Partner achtet wie beim jüngst verkündeten Nahost-Plan.

Die Entfremdung schreitet voran. Wie weit, wie nachhaltig, wie irreversibel? Das beschäftigt nicht zuletzt die 56. Münchner Sicherheitskonferenz an diesem Wochenende, die Frankreichs Präsidenten direkt dazu hören kann, der erstmals daran teilnimmt. Macron dürfte dabei mehr in die Waagschale werfen als das Arsenal der Force de frappe, folgt er doch mittlerweile einem Europa-Begriff, der Russland nicht ausklammert. Was vernünftig klingt. Denn das vereinte Europa ist nicht das tatsächliche Europa.

Will die EU in geopolitischen Dimensionen denken und handeln, sollte sie sich dessen bewusst sein, um wahrgenommen zu werden. Für Macron jedenfalls ist mehr Einvernehmen mit Moskau ein Weg, ein relevanter Akteur zu sein, der im Schatten der bipolaren Rivalität zwischen den USA und China nach Freiräumen sucht. In denen müsse man sich Geltung verschaffen. Dazu jedoch wäre zunächst einmal viel Realismus nötig, um anzuerkennen, dass man auf Russland mehr angewiesen ist als umgekehrt. Präsident Putin hat den Status einer Weltmacht i. A. kassiert und sich in Weltregionen etabliert, bei denen die EU zwar unablässig mitredet, aber ohne wirkliche Macht ist. Der ignorante Umgang der Türkei mit den Ergebnissen der Berliner Libyen-Konferenz ist dafür nur ein Beleg.

Da versucht es Macron nachvollziehbar mit einem Gaullismus des 21. Jahrhunderts, der nicht mehr – wie im Kalten Krieg – die starre Konfrontation der Blöcke zu überwinden, sondern zweckmäßige Allianzen zu begründen sucht. Um in dieser Hinsicht an einen Partner wie Russland heranzutreten, braucht er freilich das Mandat der Europäischen Union, das ihm Deutschland ebenso verweigern dürfte wie das Gros der osteuropäischen Mitgliedsstaaten. Ob sich diese Blockade auflösen lässt durch den in Aussicht gestellten nuklearen Schild, darf bezweifelt werden.

Schließlich ist in Paris nicht daran gedacht, eine französische Kernwaffenmacht zu europäisieren. Sie bleibt weiterhin Ausweis nationaler Souveränität und – wenn man so will – auch Exklusivität.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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