„Nieder mit Israel, nieder mit Israel!“ skandieren islamische Gruppen und die Anhänger linker Parteien dieser Tage immer wieder auf Kundgebungen in Istanbul und in anderen Städten der Türkei. Eine Welle der Entrüstung über die Aggression Israels in Gaza hat die das Land erfasst und lässt auch die Regierung nicht unberührt. Im Gegenteil. Die diplomatischen Beziehungen mit Israel wegen einer alle humanitären Normen ignorierenden Kriegführung in Gaza einzufrieren, daran denkt Ministerpräsident Erdogan zwar nicht, aber er muss der religiösen Färbung seiner islamisch-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) Tribut zollen. Er tut das überaus deutlich und wohl nicht nur aus taktischen Gründen, auch aus Überzeugung. Erdogan zeigte sich in der vergangenen zwei Wochen fast jeden Tag empörter und fassungsloser über das israelische Vorgehen. „Israel ist verantwortlich für ein menschliches Drama, aber die vielen Frauen und Kinder werden nicht umsonst gestorben sein, und ihre Tränen werden nicht umsonst vergossen worden sein, die Peiniger werden zuletzt in einem Meer aus Tränen ertrinken“, sagte er auf einem AKP-Meeting in Istanbul. Die Gewalt in Gaza ist in der Türkei ein großes Thema. Ein Boykottaufruf gegen Waren aus Israel folgt dem anderen, der Schulterschluss mit anderen muslimischen Ländern steht außer Frage.
Dabei war noch bis vor kurzem alles anders, Ankara hatte die Beziehungen zu den Regierungen Sharon und Olmert in Jerusalem bis zu einer engen militärischen Kooperation vorangetrieben. Man fühlte sich strategisch und mental verbunden, hier ein entschlossenes Handeln gegen den „kurdischen Terrorismus“, dort kompromisslose Selbstverteidigung gegen den „palästinensischen Terror“. Die Beziehungen schienen erst recht zu florieren, als die muslimischen Glaubensbrüder in Teheran auf ihr Recht pochten, ein eigenes Nuklearprogramm aufzulegen, das auch aus Sicht der türkischen Regierung als Gefahr für die Region gedeutet wurde. Nie freilich fiel ein Wort darüber, dass die im Nahen und Mittleren Osten vorhandene Kräftebalance nicht nur von Israel dominiert, sondern dank seines Nuklearmonopols beherrscht werde. Ende 2008 hatte sich der Handel zwischen beiden Ländern mit einem Volumen von umgerechnet 1,6 Milliarden Euro im Vergleich zu 1998 fast verzehnfacht. Es war Anfang Mai 2008, als ein türkischer Emissär indirekte Verhandlungen zwischen Syrien und Israel moderierte – die ersten ernstzunehmenden diplomatischen Kontakte zwischen ehemaligen Kriegsgegnern seit dem Jahr 2000. Es ging, wie konnte es anders sein, um die Modalitäten einer möglichen Rückgabe der seit 1967 besetzten Golan-Höhen an Syrien und damit einen Friedensschluss, wie ihn Israel mit den einstigen Kriegsgegnern Jordanien und Ägypten längst ausgehandelt hat. Damaskus akzeptierte die türkische Vermittlung, die indirekt den Anspruch der Regierung Erdogan erkennen ließ, als Regional- und Ordnungsmacht an Kontur zu gewinnen.
Nun aber könnten der Gaza-Krieg und über 1.000 getötete Palästinenser die Türkei eine Brücken-Funktion kosten, die nicht nur zwischen Damaskus und Jerusalem hilfreich sein konnte, sondern dies vielleicht eines Tages auch zwischen Jerusalem und Teheran geworden wäre. Die Israelis setzen mit ihrem Krieg einen Partner aufs Spiel, dessen Verlust sich noch als schwere diplomatische Niederlage erweisen kann.
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