Pflug und Sterne

Nordirland In seiner Dauerkrise besteht die Verlässlichkeit des Friedensprozesses

Zumindest der Führer der Sinn Fein-Partei Gerry Adams blieb nach den gescheiterten Nordirland-Gesprächen vom Wochenende optimistisch - es sei in Belfast während der vergangenen Jahre viel geschehen, das Anlass zur Hoffnung gäbe, meinte er. - Dennoch bestehen erhebliche Zweifel, ob es dem britischen Premier Blair und Irlands Regierungschef Ahern bis zum 2. August wirklich gelingt, die derzeitige Lähmung der Belfaster Regionalexekutive aus Unionisten und Republikaner zu beenden.

Der nordirische Premier und Protestant David Trimble musste seinen Rücktritt am 1. Juli nicht zwangsläufig mit der stagnierenden Demilitarisierung der katholischen Irish Republican Army (IRA) begründen. Er hätte auch demissionieren können, weil die Reform der Royal Ulster Constabulary (RUC), der unionistisch dominierten nordirischen Polizei, nicht einmal ansatzweise begonnen hat, obwohl auch das mit dem Karfreitagsabkommen klar vereinbart ist. Diesem Vertrag von 1998 verdankt schließlich die Allparteien-Regierung in Belfast ihre Existenz.

Doch den Verzicht auf die RUC in ihrer jetzigen Form betrachtet eben eine Mehrheit der protestantischen Community nach wie vor als Sakrileg wie Teile der katholischen Bevölkerung ihrerseits eine Entwaffnung der IRA. Religiöser Fanatismus kann da noch immer so unversöhnlich auf die Gemüter wirken wie chauvinistische Heilslehren und den Friedensprozess in die Schranken weisen, auf dass seine Ohnmacht mindestens so groß sei wie die unverwüstliche Bigotterie seiner Gegner.

Die Entwaffnungsfrage offenbart im Übrigen jenseits aller hitzigen Konfessionalität den entscheidenden Defekt im genetischen Code des Allparteien-Agreements vom Karfreitag 1998: Es fehlt eine überparteiliche Instanz, die mit "vollziehender Gewalt" getroffene Regelungen durchsetzt. Der Staat Großbritannien kommt dafür kaum in Betracht: Er kann als Vertragsmentor nicht zugleich Exekutor sein, weil er auch als Protektor Nordirlands weiter seinen Part spielt. Anders gesagt: Die diplomatische Schutzmacht des Friedensprozesses agiert zugleich als politische wie militärische Schutzmacht der protestantischen Mehrheit, die ihre Treue zum Vereinigten Königreich belohnt wissen will. Deshalb gibt es kein Junktim zwischen einer Waffenabgabe der IRA und einem Abzug der britischen Truppen - deshalb treibt der Friedensprozess regelmäßig mit traumwandlerischer Sicherheit seinem toten Punkt entgegen.

Das Karfreitagsabkommen ermahnt wohl die - gemessen am Bevölkerungsanteil - stärkeren Protestanten, den Anspruch der schwächeren Katholiken auf gleiche Rechte zu respektieren, doch haben sich die im Gegenzug damit abzufinden, dass der Stärkere stets der Stärkere bleibt. Das steht zwar nirgends, ist aber so gemeint. Die dafür zuständige Formel im Vertrag lautet: Jede staatliche Vereinigung Nordirlands mit der katholischen Republik Irland ist ausgeschlossen - der Status Nordirlands als Bestandteil Großbritanniens bleibt demgegenüber bestehen, bei weitreichender Autonomie, versteht sich.

Mit dieser rechtlich verbindlichen "Ungerechtigkeit" ist die nordirische Détente auf eine Dauerkrise abonniert, wobei auf den ersten Blick vieles an den Nahen Osten erinnern mag. In Wirklichkeit jedoch sind die Unterschiede gravierend: Zunächst einmal weist das Kräfteverhältnis zwischen Protestanten und Katholiken kein derart extremes Gefälle auf wie das zwischen Israelis und Palästinensern. Auch ist im "Konfliktgebiet" kein neuer Staat in Sicht, gibt es außerdem mit Großbritannien eben nicht nur eine Schutz-, sondern auch eine Garantiemacht des Friedensprozesses, die alte und neue Brandherde des Konflikts allein schon deshalb löschen muss, weil sie viel unmittelbarer betroffen (Terroranschläge, Militärpräsenz) ist als es etwa die USA im Nahen Osten sind.

Nicht zuletzt wegen dieser Verstrickung Londons mussten und müssen seit Mitte der neunziger Jahre verstärkt externe Vermittler bemüht werden: Man denke an US-Senator George Mitchell, den Paten des Karfreitagsabkommens, den finnischen Ex-Präsidenten Martti Ahtisaari oder John de Chastelain (Kanada), den jetzigen Chef der Entwaffnungskommission, die nicht nur bei der IRA, sondern auch bei den unionistischen Paras der Ulster Defense Association (UDA) und den Ulster Volunteer Forces (UVF) auf Granit beißt.

Dennoch bleibt die Verständigung ohne Alternative. Denn was brächte die Suspendierung einer Regionalexekutive aus Unionisten und Republikanern, die in den vergangenen Monaten durchaus zu regieren verstand? Wem - außer den Extremisten beider Seiten - nützt eine erneute Zwangsverwaltung durch die britische Zentralregierung? Immerhin konnte das Konkordanzkabinett unter dem Protestanten Trimble ein Haushaltsbudget wie auch ein eigenes Regierungsprogramm vorgelegen. Der Konsens darüber war Parteien zu danken, die sich noch vor drei Jahren als Kombattanten eines schwelenden Bürgerkrieges gegenüberstanden.

Weshalb trotzdem die Abrüstung der IRA zur Kardinalfrage für die Regierung hochgespielt wird, liegt auf der Hand - Kabinettschef Trimble hat sich kurz vor jenem kritischen Augenblick aus der Verantwortung entlassen, da wie jedes Jahr mit den Oraniermärschen zur Mobilmachung gegen jede Aussöhnung gerufen wurde. Der Stimmenzuwachs für die radikal-unionistische Democratic Unionist Party (DUP) des Pfarrers Paisley bei den britischen Unterhauswahlen am 7. Juni war zudem ein Indiz dafür, wie das Hinterland der gemäßigten Unionisten um Trimble schrumpft. Gleich zwei prominente Parlamentarier seiner Unionist Ulster Party (UUP) wollten am 7. Juni nicht zur Wiederwahl antreten: Parteivize John Taylor und Sicherheitssprecher Ken Maginnis - ein deutlicheres Misstrauensvotum gegen Trimble aus den eigenen Reihen konnte es kaum geben.

Die Iren, beklagte einst Sean O´Casey, hätten die schönste Flagge als Symbol für ein empfindungsreiches Nationalgefühl entworfen: den Pflug und die Sterne, lange bevor man von Hammer und Sichel etwas vernommen habe, um dann doch "die häßlichste, farbloseste aller Nationalflaggen" zu verehren. O´Casey deutete das als Zeichen von Unzurechnungsfähigkeit, schloss aber auch Pragmatismus nicht aus: Schließlich hielten die Iren Ulster für einen Teil von England, "nicht aus Liebe zu England, sondern weil eine solche Einstellung ihren Interessen zu dienen scheint ..." Genau das wird den Friedensprozess weiter am Leben erhalten.

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