Preisabfrage gefällig?

Griechenland Passend zum Besuch der deutschen Kanzlerin hat Athen wieder eine Anleihe auf dem Kapitalmarkt platziert. Doch sind die dafür erbrachten Vorleistungen vertretbar?
Die Börsen reagieren verhalten auf den wieder aufgetauchten Schuldner
Die Börsen reagieren verhalten auf den wieder aufgetauchten Schuldner

Foto: Aris Messinis / AFP

Wer die erste griechische Staatsanleihe seit gut vier Jahren gezeichnet hat, dürfte es in der Überzeugung getan haben: Es winkt ein lukratives und wohl auch sicheres Geschäft. Bei einer Verzinsung von fast fünf Prozent und fallenden Zinsen für die meisten momentan auf dem Kapitalmarkt angebotenen Schuldverschreibungen anderer Euro-Staaten gilt das allemal. Nur eines trifft garantiert nicht zu – diese Investoren handeln nicht im Vertrauen auf die finanzielle Potenz Griechenlands, dessen Gesamtverschuldung inzwischen den gigantischen Wert von 176 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erreicht hat und weiter wächst.

Sie engagieren sich in der Überzeugung, dass bei Tilgungsnöten Athens die Euro-Rettungsgemeinschaft einspringt. Es gibt den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und – noch wichtiger – ein längst nicht erschöpftes EU-Hilfspaket (das zweite seit 2010), dessen Kapitaltranchen – gegen Auflagen natürlich – bisher zuverlässig nach Athen geflossen sind und weiter fließen. Bis Anfang Mai werden es erneut etwa zehn Milliarden Euro sein.

237 Milliarden Euro bisher

Mit anderen Worten, die Solvenz des griechischen Staates ist und bleibt gesichert. Den Erwerber der gerade ersteigerten Drei-Milliarden-Anleihe dürfte ebenso beruhigen, dass es vorerst keinen erneuten Schuldenschnitt geben wird wie 2012. Man weiß nur zu gut, dass dann auch die öffentlichen Investoren bluten müssten. Bei denen handelt es sich bekanntlich überwiegend um Euro-Staaten selbst. Es geht um ihre Kreditgarantien, Bürgschaften und direkten Zahlungen, mit denen seit vier Jahren für den Kapitalbedarf – vor allem die Refinanzierung der Schulden – des griechischen Staates aufgekommen wird.

Insofern verdient die teils euphorisch gefeierte Rückkehr auf den internationalen Kapitalmarkt nicht nur eine, sondern mehrere Gegenrechnungen. Man könnte auch von Preisabfrage reden. Diese drei Milliarden Euro sollten die 237 Milliarden Euro nicht vergessen lassen, die allein bis zum 1. Januar 2014 durch EU-Rettungsprogramme den Bankrott Griechenlands und einen Crash für die gesamte Eurozone abwenden sollten. Jenes Polster kostet den Krisenstaat bis zu diesem Zeitpunkt fast 30 Prozent Arbeitslose (bei den 18- bis 25-Jährigen liegt die Quote deutlich jenseits der 50-Prozent-Marke). Es stehen noch einmal Massenentlassung im öffentlichen Dienst an, die 11.000 Frauen und Männer betreffen werden. Nicht zuletzt dagegen richtete sich vor wenigen Tagen ein Generalstreik, der auch ein Indikator dafür war, wie wenig das politische System als stabilisiert betrachtet werden kann. Die Regierung von Premier Andonis Samaras muss bei der anstehenden Europawahl Ende Mai mit einer Niederlage rechnen und wird dem Herausforderer Syriza, der Linksallianz, nicht entkommen.

Warum jetzt?

Und noch ein Phänomen verdient Beachtung: Als Griechenland im Frühjahr 2010 vom internationalen Kapitalmarkt verschwand, lag sein Gesamtschuldenstand noch bei 120 Prozent des BIP. Ausgrechnet jetzt – bei um mehr als 50 Prozent gewachsenen Verbindlichkeiten – gelingt die Rückkehr. Was heißt das? Ganz einfach, ein Land ist nicht erledigt oder pleite, wenn es an seinen Schulden erstickt, sondern wenn es keine Kredite mehr bekommt. Und wann werden die verweigert? Immer dann, wenn kein Vertrauen besteht, dass sie auch zurückgezahlt werden. Das bedeutet in der Konsequenz, wäre Griechenland schon vor vier Jahren von den kollektiven Haftungsgarantien der Euro-Gemeinschaft aufgefangen worden, die es heute gibt, wäre dieser akute Krisenfall nicht einfacher, aber für alle Beteiligten sehr viel billiger geworden. Schuld daran, dass es anders kam, trägt vor allem Kanzlerin Merkel. Deren Zögern im April 2010 – u.a. mit Rücksicht auf Landtagswahlen in NRW – war ein Fehler, der zu einer Katastrophe hätte führen können. Und in gewisser Weise auch geführt hat, nimmt man den Verlust an sozialen Standard in der griechischen Gesellschaft.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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