Realpolitik aus Moskau

Syrien Wie Wladimir Putin die Gunst des Augenblicks nutzt und die Federführung im Konflikt übernimmt
Ausgabe 01/2017
Das Ausmaß der Zerstörung Syriens lässt jeden Sieger mit leeren Händen zurück
Das Ausmaß der Zerstörung Syriens lässt jeden Sieger mit leeren Händen zurück

Foto: Abd Doumany/AFP/Getty Images

Die Zustimmung der USA im UN-Sicherheitsrat zu der am letzten Tag des Jahres 2016 von Russland eingebrachten Resolution über eine Waffenruhe in Syrien enthält mehrere Eingeständnisse. Zunächst einmal war es kaum möglich, sich zu enthalten, geschweige denn ein Veto einzulegen. Die Obama-Regierung wäre in Erklärungsnot geraten, hätte sie gegen eine Feuerpause gestimmt, nur weil Russland einen Weg zum Frieden vorschlägt. Indirekt musste sie damit einräumen, dass ihr die Federführung im Syrien-Konflikt entglitten ist.

Eben noch vom republikanischen Senator McCain als Gangster geschmäht und von Präsident Obama herablassend gewarnt, er werde im syrischen Morast stecken bleiben, steht Wladimir Putin auf der Schwelle zum Jahr 2017 genau dort, wo die Entscheidungen fallen. Schließlich, das wäre Eingeständnis Nummer drei, gibt die scheidende US-Administration unfreiwillig zu verstehen, dass ihr ein überzeugendes Konzept fehlt, um Moskau Paroli zu bieten. Jahrzehntelang hatten die USA im Nahen Osten militärisch alle Trümpfe in der Hand, nur führte das nie zu diplomatischen Allianzen wie jetzt zwischen Russland, Iran und der Türkei, um einen Konflikt zu entschärfen. Weder 1983 im Libanon noch 2003 im Irak noch 2011 in Libyen.

Dabei beschreiten die Regierungen in Moskau, Teheran und Ankara keinen Königsweg zum Frieden. Sie zehren vom Augenblick und vertrauen sich der Dialektik von der Einheit und dem Kampf der Gegensätze an. Ihr Zweckbündnis beseelt der Wunsch, der momentane Waffenstillstand möge zu Gesprächen zwischen Damaskus und dem nichtislamistischen Flügel der Assad-Gegner führen. Andererseits liegen die Vorstellungen, was damit erreicht werden soll, weit auseinander. Die Türkei verlangt wie gehabt, Baschar al-Assad müsse nach einer Übergangszeit abtreten, während der Iran auf dessen vollständigen Sieg setzt. Russland wiederum verbinden mit solchen Kompagnons keine Bande innigen Einvernehmens, sondern nur temporär ähnliche Interessen bei prinzipiell unüberbrückbaren Gegensätzen. Doch warum sollte das daran hindern, vereint auf Friedenssuche zu gehen, nicht nur als externe Paten, sondern als erklärte Gegner beim Krieg um Syrien? Seit der 2011 ausbrach, gab es Vergleichbares noch nie.

Da in Moskau kein Netz der Träume gespannt, sondern Realpolitik betrieben wird, kann die westliche Diplomatie dem wenig entgegensetzen. Sie hat sich in ideologisch gefärbtem Wunschdenken auf ein Gut-Böse-Klischee festgelegt und muss erst vom hohen Ross der Wertebeschwörung herunter, um Politik machen zu können. Freiheit, Menschenrechte, Demokratie: Ja sicher, sie wären das Beste, was Syrien zu wünschen ist, aber mitnichten das Mögliche. Wer kommt von allen Konfliktparteien in Betracht, um unbefleckt vor den Altar der Werte zu treten und deshalb in Damaskus regieren zu dürfen? Niemand!

Auch wenn es für das Zähmen der Kriegsfurie keine Erfolgsgarantie gibt, so immerhin eine Gunst der Stunde, die im Augenblick fünf Umständen zu verdanken ist: dem Ausmaß der Zerstörung Syriens, die jeden Sieger zum leeren Blick auf leere Hände verurteilt; der nach Aleppo veränderten inneren Kräftebalance; dem Willen zum Kompromiss bei entscheidenden Akteuren; einem Wandel bei den diplomatischen Bündnissen und dem Bewusstsein im Westen, dass eine militärische Intervention zur Konfrontation mit Russland führt. Ohnehin dürfte es nach dem 20. Januar im Weißen Haus mit den antirussischen Affekten vorbei sein – vorübergehend zumindest.

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