Reizwort Schuldenschnitt

Krisenfonds Der EU-Videogipfel bleibt eine Antwort auf die Frage nach dem Übergang von akuter Nothilfe zu Wiederaufbau und Sanierung schuldig
Ursula von der Leyen nach dem Videogipfel vom 23. April 2020
Ursula von der Leyen nach dem Videogipfel vom 23. April 2020

Foto: Olivier Hoslet/EPA/AFP/Getty Images

Die EU-Regierungschefs können sich bescheinigen, dem Augenblick gewachsen zu sein. Dieses Fazit hat der EU-Videogipfel vom 23. April sicher verdient. Was getan werden muss, um kritische Infrastrukturen bei den Gesundheitssystemen der am meisten von der Pandemie heimgesuchten Staaten funktionsfähig zu halten, das kann stattfinden. Vorausgesetzt, die Regierungen nehmen in Anspruch, was mit dem 500-Milliarden-Euro-Programm zur Verfügung steht. Es handelt sich um Mittel, die zugleich für Unternehmen und Arbeitnehmer gedacht sind, damit also ebenso den in einen Ausnahmezustand geratenen nationalen Ökonomien zugute kommen. Nur galt das vor diesem vierten Europäischen Rat des Pandemie-Zyklus bereits als beschlossen.

Worüber es nach wie vor weder Klarheit noch Konsens gibt, das ist der neuralgische Punkt dieser Megakrise: Wie wird der Übergang von der Ad-Hoc-Nothilfe zu Wiederaufbau und Sanierung der jetzt möglicherweise um Jahre zurückgeworfenen Volkswirtschaften vonstatten gehen? Wird der gelingen, und wenn ja, wie lange dauern? Welcher Sanierungsbedarf fällt an und wird wie finanziert?

Vorübergehend Jahresetats

Verständlicherweise wollen sich Pandemie-Hauptbetroffene wie Frankreich, Italien und Spanien auf ein hohes Maß an gemeinschaftlicher Hilfe stützen. Können sie das? Die Antwort darauf ist vertagt. Zunächst soll sich die EU-Kommission bis Mitte Mai darum kümmern. Die Folge davon dürfte sein, dass die Suche nach Lösungen davon überschattet wird, dass es noch kein EU-Budget für 2021 bis 2027 gibt, aus dem – zumindest ein Teil – der Finanzhilfen für die Krisenstaaten bestritten werden müsste.

Eine Einigung über diesen Etat kann das nicht wirklich erleichtern. Man muss sich nur vor Augen halten, dass ein erster Budgetgipfel am 21. Februar – noch vor Ausbruch der Corona-Krise in Europa – erst einmal gescheitert ist. Umso mehr gilt: Diesen Haushalt derzeit aufzustellen, erscheint seriös kaum möglich, solange kein Ende der Pandemie absehbar ist. Es würde sich stattdessen anbieten, vorübergehend auf Jahresetats umzuschwenken, die einer offenen Situation gerechter werden als auf ein sechs Jahre ausgelegter Finanzrahmen.

Freilich wäre auch bei einem solchen Verfahren an der alles überwölbenden Frage nicht zu rütteln: In welchen Verhältnis stehen Finanzhilfen für die Krisenländer aus dem EU-Haushalt und Zuwendungen, die ihnen aus einem – wie es wohl kommen wird – kreditfinanzierten Wiederaufbaufonds winken, der sich wiederum in Teilen auf den Brüsseler Haushalt stützt?

Ein solcher Fonds kann ein Segen, aber auch ein Katalysator sein, um hochverschuldete Eurostaaten erst recht in Schulden zu ersticken. Genau das ist der Hintergrund des mit dem jüngsten EU-Gipfel nicht eingedämmten Streits um Finanzen und Sicherheiten.

Noch bedürftiger

Wenn jedes EU-Mitglied nach dem No Bailout-Grundsatz selbst für seine Verbindlichkeiten verantwortlich bleibt, werden Länder wie Frankreich, Italien und Spanien mit augenblicklichen Gesamtschulden von 100,5 Prozent, 140,0 bzw. 98,1 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung durch eine notgedrungen hohe Kreditaufnahme noch bedürftiger sein, als es bereits der Fall ist. Auffangen ließe sich das nur, würde die Tilgung gestreckt und die Refinanzierung bei möglichst geringen Zinsaufschlägen stattfinden.

Deshalb verdient ein Vorschlag der spanischen Regierung Beachtung, der ein 1,5 Billionen Euro schweres Notbudget vorschwebt, das durch Anleihen mit unbegrenzter Laufzeit gesichert werden soll – sogenannten „Recovery Bonds“. Würde die Tilgung derartiger Kredite über einen extrem langen Zeitraum gestreckt, wären zunächst nur die Zinsen abzutragen. Mit anderen Worten, werden diese Anleihen in der Eurozone gemeinschaftlich aufgenommen, hält sich die Belastung für Länder wie Deutschland oder die Niederlande in Grenzen und hätte mit den Altschulden von Eurostaaten nichts zu tun.

Auf dem Gipfel vom 23. April blieb diese Offerte unbeachtet, doch kann sich das allein deshalb ändern, weil eher früher als später auch ein Schuldenschnitt für finanziell besonders belastete EU- oder Euroländer die Debatte prägen wird. Schuldenabbau durch Schuldenstreichung, das kann ein Zinstreiber sein – man denke an Griechenland. Dagegen Vorsorge zu treffen, sollte die Finanzierung des Wiederaufbaufonds sehr viel mehr beeinflussen, als das bisher gegeben ist.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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