Renzis tausend Tage

Italien Demokratie ist unberechenbar. Wer heute Referenden abhält, muss wissen, was er riskiert. Es geht nur allzu schnell ums Ganze und die große Abrechnung
Der Premierminister hält sich für überholt
Der Premierminister hält sich für überholt

Bikld: Imago

Eine überlieferte chinesische Weisheit sagt, wer „eines Landes Übel“ auf sich nimmt, sei es wert, „Herr der Altäre zu sein“. Wer gar „eines Landes Unglück“ auf sich nimmt, habe verdient „Herr der Welt“ zu sein.

Matteo Renzi könnte sich vom Selbstverständnis her bescheinigen, zumindest versucht zu haben, gegen Italiens „Übel“ und „Unglück“ vorgegangen zu sein. Etwas dagegen unternommen zu haben, dass sich ein Land wie dieses so schwer regieren lässt. Aber er wird auf keinen Altar gehoben. Und die Welt liegt ihm schon gar nicht zu Füßen – dort findet sich eher ein Scherbenhaufen, dem zu entrinnen unmöglich ist.

Gerade meinte man angesichts der Nachrichten aus Wien über die Niederlage eines Burschenschaftlers, der EU-Zug sei ausnahmsweise einmal nicht entgleist. Nun liegt er schon wieder auf dem Schotter. In Italien ist nicht nur eine Verfassungsrevision gescheitert, gleichsam eine Regierung, die nicht unbedingt ein Stabilitätsanker war, aber wenigstens den Eindruck erweckt hat, es sein zu wollen. Immerhin war Matteo Renzi gut tausend Tage im Amt und hatte anderes vor, als sich am 4. Dezember 2016 ein fast schon vernichtendes Urteil über diese Zeit einzuhandeln.

Wer heutzutage Referenden riskiert, muss wissen, was er tut oder sich sehr sicher sein. Die Demokratie ist sich selbst nicht mehr grün, schlägt mit den eigenen Waffen um sich und zeigt, was in ihrem Namen alles geht. Allerdings kann es um das handwerkliche Geschick oder mentale Gespür Renzis nicht zum besten bestellt sein, wenn er so deutlich verliert. War Selbstüberschätzung im Spiel?

Konjunktur für Unruhestifter

Wie auch immer – der bisherige Premier muss sich fragen lassen, ob er gut beraten war, die Volksbefragung zur Verfassungsinventur derart zu personalisieren, wie er das tat. Wenn ein Regierungschef sein Prestige und vermeintlichen Rückhalt auf die Waagschale legt, muss er damit rechen, dass die sich neigt – wohin auch immer.

Sehr wahrscheinlich waren in Italien die Wirtschaftslage und die von Renzi vorangetriebene Arbeitsmarktreform für das jetzige Votum ausschlaggebender als das Verhältnis von Abgeordnetenkammer und Senat. Offenbar konnte auch die Aussicht wenig begeistern, dass demnächst Parteien mit Zustimmungsraten um die 30 Prozent dank Wahlrechtsreform mit absoluter Mehrheit die Legislative dominieren und Regierungsentscheidungen eher abgesegnet als abgewogen werden.

Renzi hat – jedenfalls stellt sich das im nachhinein so dar – einen beachtlichen Anteil daran, dass eine lagerübergreifende Opposition entstanden ist, die sich als Gegenmacht in Szene setzt und ihn prompt zum Abgang nötigt, auf dass sich Neuwahlen als Ausweg anbieten, aber auch eine Experten-Regierung denkbar scheint.

Die Risikozuschläge für italienische Staatsanleihen, vor allem deren Refinanzierung, werden durch die jetzigen Ungewissheiten nach oben getrieben. Desgleichen eine Staatsverschuldung, die bereits einen Wert von 135 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreicht hat. Euro und Eurozone werden davon nicht unberührt bleiben, die Lage der anderen Großschuldner in der Währungszone erst recht nicht

Der Beobachter hat den Eindruck, auf der rechten, nationalistischen und völkischen Flanke wurde Renzi aus einem teils egomanischen Antrieb heraus torpediert. Die Führer von Forza Italia und Lega Nord handeln als politische Unruhestifter, bevor sie als Protagonisten alternativer Ideen im Interesse des Landes etwas bewirken wollen. Wobei es davon abhängt, wer definiert, welche und wessen Interessen das sind.

Unterbau schwindet

Wer der Lage in der EU ein realistisches Urteil gönnt, kommt an diesem 5. Dezember nicht um das Fazit herum: Es häufen sich politische Ausfälle bei Leitnationen des Staatenbundes, der davon nicht nur wegen eines generellen Erosionstrends betroffen ist, sondern als Politische Union schlichtweg an Unterbau – sprich: Substanz – verliert.

Großbritannien wird auf Jahre hinaus mit der Abwicklung seines europäischen Daseins beschäftigt sein und die EU über Gebühr belasten. François Hollande hat gerade durch seinen Verzicht auf eine Kandidatur bei der Präsidentenwahl 2017 zu verstehen gegeben, dass er sich für eine gescheiterten Präsidenten hält. Er ist noch im Amt, aber mehr qua administrativer als politischer Autorität. In Spanien regiert eine konservative Minderheitsregierung der Volksartei (PP), über deren Laufzeit man besser keine Prophezeiungen wagt. Wie es um Belgien steht, hat der Streit mit der Wallonie um deren Plazet zum CETA-Vertrag gerade gezeigt. Die meisten osteuropäischen Regierungen führen den Nachweis, den Rechtssaat autoritär beugen zu können, deshalb aber nicht mit einem Verstoß aus der EU rechnen zu müssen. Und wer wird Deutschland in einem Jahr regieren?

Vielleicht wäre ein partieller Rückbau der Union das Sinnvollste, was derzeit geschehen kann – eine Besinnung auf Binnenmarkt und Zollunion, die allen Partikularinteressen zum Trotz Bestand haben dürften. Warum erklären die Briten ausgerechnet diese Domänen zur Brexit-freien Zone?

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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