Eine Absage an die europäische Verteidigungsidentität? Ein Verzicht auf den eigenen strategischen Spielraum, eine Abkehr von General de Gaulle und dem Unabhängigkeitsdenken der frühen V. Republik? Was tut Staatspräsident Sarkozy, wenn er Frankreich wieder zum vollständigen NATO-Mitglied macht? Eines auf keinen Fall – das gaullistische Vermächtnis wie einen Anachronismus behandeln, das nichts Besseres verdient, als unter den Dielenbrettern der Geschichte zu verschwinden.
Die „atlantische Revision“, wie in Frankreichs die Rückkehr in die integrierte Kommandostruktur genannt wird, hat nichts mit Bilderstürmerei zu tun, wie wohl das Bekenntnis zum Gaullismus von den Erben de Gaulles – ob sie nun Pompidou, Debré, Juppé oder Chirac hießen – nie als Götzendienst betrieben wurde. Aber alle Vermächtnisse erweisen sich im politischen Alltag häufig als Erbschaften, an deren Gebrauchswert die Zeit nicht spurlos vorüberzieht. Immerhin hatte sich schon Sarkozys Vorgänger Jacques Chirac 1996 der NATO wieder andienen wollen, doch scheiterten die atlantischen Ambitionen damals an seiner Vorstellung, das Südeuropa-Kommando müsse auf Dauer einem französischen General übergeben werden. Der mit Chirac in einer Cohabitation regierende sozialistische Premier Lionel Jospin hatte dem Vorhaben ohnehin nicht viel abgewinnen können.
Wenn Frankreich kurz vor dessen 60. Jahrestag mit allen Rechten und Pflichten in den Nordatlantik-Pakt zurückkehrt, ist das kein Abschied von sterilen Dogmen, sondern ein Plädoyer für die Erneuerung der Allianz. Seit die USA unter ihrem neuen Präsidenten wie unter dem Druck der Verhältnisse soviel Sinn für Realpolitik entwickeln, erscheint das möglich. Von der Notwendigkeit zu Inventur und Innovation ganz zu schweigen.
Mit den Franzosen wird sich ein selbstbewusstes Klubmitglied zurückmelden, das aus seinen Bedenken gegen eine fortgesetzte und vor allem fortgesetzt forcierte Osterweiterung kein Hehl macht und seine Vorfreude auf Debütanten wie die Ukraine und Georgien oder auch Albanien, Mazedonien und Kroatien zu zügeln weiß. Was im Übrigen auch für die Lust an einer weiteren strategischen Einkreisung Russlands gilt. Präsident Sarkozy hat stets einer Bündnisphilosophie widersprochen, die eine schlagkräftige Globalallianz herbei sehnt und sich als Konkurrenzunternehmen zu den Vereinten Nationen in Szene setzen will.
Sollte Barack Obama, wie das derzeit erkennbar ist, ein eher instrumentelles Verständnis der NATO pflegen und das Militärbündnis nicht politisch überfordern, sondern mäßigen wollen – sollte er gar die Stirn haben, die Allianz erneut auf Identitätssuche zu schicken, käme das Frankreich vermutlich gelegen. Allein schon deshalb, weil die jetzige Reintegration nach dem Prinzip von Nähe und Abstand stattfindet. Das heißt zum Beispiel, allein der Präsident im Elysée-Palast hat weiterhin das letzte Wort, wenn es um den Einsatz des eigenen Nuklearpotenzials geht, das Garant nationaler Souveränität bleibt.
Die Force de Frappe sollte einst so etwas wie der europäische Finger am amerikanischen Abzug sein. Nur gehörte dieser Finger schon zu Zeiten de Gaulles keinem Europäer, sondern einem Franzosen. Daran wird sich nichts ändern – der Rückkehrer wird kein demütiger Heimkehrer, eher ein privilegierter Partner sein.
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