Rüpeln und kaudern

Peerlusconi SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück hat sich um ein Essen mit dem italienischen Präsidenten gebracht, darf sich aber einer eindrucksvollen aufklärerischen Tat rühmen
Die Arbeitsmoral des Kandidaten stimmt. Er tut, was er kann
Die Arbeitsmoral des Kandidaten stimmt. Er tut, was er kann

Foto: Christof Strache / AFP - Getty Images

Hat er nicht wenigstens einen Hauch von Solidarität und Mitgefühl verdient? Man kann sich gut vorstellen, wie es im Inneren des Genossen Peer Steinbrück jetzt aussieht. Es gibt ein flaues Gefühl im Magen, das Abendessen mit Giorgio Napolitano fällt immerhin aus, er schläft schlecht und hat immer das Parteibuch unterm Kopfkissen, falls es doch zum Ausschlussverfahren kommt. Im Willy-Brandt-Haus sehen sie ihn nur noch scheel an. Man muss ja auch an der politischen Zurechnungsfähigkeit der führenden Genossen dort zweifeln, wenn sie jemanden zum Kanzlerkandidaten machen, der gar nicht kanzlern will, weil er ständig um den Nachweis bemüht ist, als Kanzler nicht tragbar zu sein. Jetzt lässt ihn auch noch der italienische Präsident an sich abtropfen.

Unbedingt aufklärerisch

Dabei hatte der Bewerber gerade vier Wochen ohne Patzer hinter sich gebracht. Und nun ist es schon wieder passiert, dass er lieber rüpelt als argumentiert. Wenn der italienische Wähler bevorzugt „Clowns“ wählt, dann er ist vielleicht selbst ein "Clown". Und mit der italienischen Demokratie kann man sich sonst was abwischen. Aber ist es nicht verdienstvoll und im besten Sinne aufklärerisch, wie Peer Steinbrück die aufgeräumte Hemdsärmligkeit des deutschen Honoratioren-Stammtisch auf die politische Bühne Europas zaubert? Diese Tafelrunde überzeugt gewöhnlich durch unbekümmerte Urteilskraft und völkerverbindende Unbekümmertheit. Die Völker links und rechts von Deutschland sollen wissen, was im Zentrums Europas über sie gedacht wird. Die Griechen sind schon länger im Bilde. Die Spanier im Prinzip auch. Jetzt haben sich die Italiener mit der Wahl von "Clowns" zum Totalverriss empfohlen. Peer Steinbrück hätte es natürlich auch netter sagen können, ein bisschen biblisch vielleicht, was in der Stunde der Papst-Abdankung gut angekommen wäre: „Sie säen nichts, sie ernten nichts, sie wählen Clowns und der liebe Gott ernährt sie doch.“

Das weiß schließlich jeder anmutige All Inclusiv Tourist aus Jena-Lobeda oder Idar-Oberstein, dass Italien eigentlich ein wunderschönes Land ist, würden dort nicht ausgerechnet die Italiener leben, ein Volk von Bankrotteuren und Lebemännern „mit einem besonderen Testosteron-Schub“ (Befund Dr. Steinbrück).

Gerade noch tönte es aus dem Schloss Bellevue in einer von Floskeln gesegneten Rede, dass in Europa keiner Angst habe müsse vor Deutschland. Aber unberechenbare Völker ein bisschen an die Hand nehmen, an die deutsche versteht sich, das muss man schon. Das hat Tradition, der Geschichte sei Dank.

Early Bird

Aber vielleicht hängen jetzt auch Missverständnisse in der Luft. Und Peer Steinbrück ist so etwa wie die erste Schwalbe, die zwar noch keinen Sommer macht, aber für die große Koalition auf Achse ist. Sein Extempore über die italienischen "Clowns" erinnert an den Auftritt des CDU/CSU-Fraktionschefs Volker Kauder auf einem Christdemokraten-Parteitag im November 2011, als er vor Stolz berstend erklärte: „Jetzt wird auf einmal in Europa deutsch gesprochen.“ Damit war nicht das Ausschwärmen deutscher Fußballprofis nach Rom, Madrid oder London gemeint, sondern die deutsche Lufthoheit über das Euro-Krisenmanagement. Der Vollzug einer Spar- und Stabilitätspolitik im Sinne Angela Merkels, zu deren herausragenden Ergebnissen auch die italienischen „Clowns“ zählen. Aber wer will das schon wissen oder gar zugeben? Lieber arrogant herum tuten, überheblich auf die anderen herabsehen und dem gesunden Volksempfinden die Leimrute vor die Nase halten. Eine große Koalition des Großkotzes eben.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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