Russland/China: Ein solches Einvernehmen gab es bestenfalls in den 1950er Jahren

Meinung Ob man es Block, Allianz oder Vertragsgemeinschaft nennt – es reicht auf jeden Fall, um ein Gegengewicht zu den USA und deren Anhang zu sein
Ausgabe 12/2023
Xi Jinping und Wladimir Putin stoßen im Kreml gemeinsam an
Xi Jinping und Wladimir Putin stoßen im Kreml gemeinsam an

Foto: Pavel Byrkin/Sputnik/AFP/Getty Images

Xi Jinping hätte es mit einem „Arbeitsbesuch“ in Moskau bewenden lassen können, der keine 24 Stunden dauert. Tatsächlich blieb er drei Tage, um eine „strategische Zusammenarbeit“ zu verhandeln sowie dem Rechnung zu tragen, was nach Pekinger Lesart ein „Besuch für den Frieden“ sein sollte. Wladimir Putin wiederum wollte nicht darauf verzichten, kurz zuvor die annektierte Krim zu besuchen und sich den Wiederaufbau der eroberten Hafenstadt Mariupol anzusehen. Augenscheinlich war ihm an der Botschaft gelegen, bis auf Weiteres komme kein Rückzug aus der Ostukraine in Betracht. Dies nicht vollends auszuschließen, hätte am Vorabend des Xi-Besuches eine Konzession sein können, um etwas für Chinas internationale Reputation als Emissär des Ausgleichs zu tun.

Doch schienen vor diesem Gipfel taktische Rücksichten unangebracht. Es gab sie weder untereinander noch im Blick auf den Leumund, den diese Begegnung außerhalb Chinas und Russlands haben würde. Stattdessen handelten zwei Mächte nach der Maxime, niemandem Gefälligkeiten schuldig zu sein. Nur diese Robustheit wird ihrem Souveränitätsverständnis gerecht. Es gibt noch eine Welt woanders. Und die ist eigenständig, nicht westlich und trotzdem relevant. Dass Xi diese Reise antrat und für ausgiebige Sondierungen mit Putin nutzte, konnte und sollte zeigen, dass Russland alles andere als isoliert ist. Wird es nicht als Verbündeter gesehen, so doch als Partner geschätzt. Chinas Präsident Xi ist pragmatisch genug, um die ökonomische Kooperation mit einem Staat voranzutreiben, von dem er nicht erwartet, demnächst Chaos und Morbidität zu verfallen. Ob man es Block, Allianz oder Vertragsgemeinschaft nennt – es reicht auf jeden Fall, um ein Gegengewicht zu den USA und deren Anhang zu sein.

Ein solches Einvernehmen zwischen Moskau und Peking hat es bestenfalls in den 1950er Jahren gegeben, bevor hegemoniale Rivalität und ideologischer Zwist zu erbitterter Feindschaft führten. Heute ist China mehr als nur interessiert daran, dass Russland den Krieg in der Ukraine nicht verliert. Es tut, was es für geboten hält, um die Sanktionsfront des Westens zu durchbrechen. Und das ist nicht wenig. Wer das herunterspielt, leidet an Realitätsverlust. Wladimir Putin musste nicht als Bittsteller in Peking antreten, Xi kam zu ihm. Was nicht heißt, dass er Russlands Krieg in der Ukraine gutheißt, aber sich sehr wohl der Gründe bewusst ist, die zu dieser Konfrontation geführt haben. Sie möglichst bald zu beenden, hält Chinas Präsident nicht allein wegen fataler Eskalationsrisiken für unausweichlich. Er glaubt offenkundig, dass dieser Konflikt zu einer neuen multipolaren Weltordnung zwingt. Die vorhandene, wie sie in einer für den Westen historisch günstigen Situation nach 1990 etabliert und immer wieder durch Kriege durchgesetzt wurde, ist gescheitert – in Afghanistan, im Irak, in Libyen, in Syrien.

Derzeit hat sich das Gros der westlichen Staaten durch kompromisslose Parteilichkeit für die Ukraine derart festlegt, dass keinerlei hilfreiche Diplomatie möglich ist. Dies auch nur zu versuchen, würde als Verrat von Abtrünnigen ausgelegt. Wer soll da außer China als Vermittler übrig bleiben, der nicht blockiert ist und wie kein anderer Staat auf Russland Einfluss nehmen kann? Täuscht der Eindruck oder trifft es zu, dass manche Reaktion aus Kiew während des Xi-Aufenthalts in Moskau erwartungsvoller klang als die übliche Voreingenommenheit anderswo?

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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