Schanzarbeiten

PINOCHET, DAS RECHT, DIE POLITIK Hätte sich der britische Innenminister Jack Straw nicht von vornherein und ohne Umschweife für eine Entlassung Augusto Pinochets aus humanitären ...

Hätte sich der britische Innenminister Jack Straw nicht von vornherein und ohne Umschweife für eine Entlassung Augusto Pinochets aus humanitären Gründen aussprechen sollen? Seit Monaten gibt es unverkennbar den Willen der britischen Regierung, Pinochet statt einer Auslieferung nach Madrid die Ausreise nach Santiago zu verschaffen. Doch es fehlt an Mut, dies zu bekennen. Man bleibt in Deckung, solange die Gerichte tagen. Eine »humanitäre Lösung« ist logischerweise weniger angreifbar, wenn sie auf einer juristischen und keiner politischen Entscheidung beruht.

Um es klar zu sagen, auch ein Täter vom Kaliber Pinochets, der Verantwortung für den Tod Tausender Chilenen trägt, sollte unter bestimmten Umständen in den Genuss einer solchen Lösung kommen. Ja, er muss es sogar, weil Rechtsprechung nicht Vergeltung um jeden Preise bedeuten kann. Auge in Auge - nicht Auge um Auge - heißt das Prinzip. Unbehagen löst etwas anderes aus. Die akribischen Prozeduren der Gerichte, die den Fall seit 16 Monaten nicht von der Stelle kriegen, geraten zusehends in den Geruch, eine Art Kompensation für politische Defizite zu sein. Das düpiert Opfer und Kläger gleichermaßen. Darin wird ein Handlungsmuster sichtbar, das den »Fall Pinochet« begleitet - seit es ihn gibt. Und es gibt ihn nicht erst seit Beginn eines Arrests in Großbritannien, sondern spätestens seit dem 11. September 1973 - dem Tag des Putsches gegen Chiles damaligen Präsidenten Allende. Von diesem Tage an war Pinochet ein Fall der Politik. Ein Fall für die Justiz wurde er erst, weil die Politik versagte.

Mehr als 16 Jahre lang konnte der Diktator sein gnadenloses Regiment unbehelligt von diplomatischen, geschweige denn anderen, rigoroseren Formen der Intervention führen. Bereits Mitte der siebziger Jahre war bekannt: In Chile blieben Tausende nach ihrer Deportation durch die Militärs spurlos verschwunden. Doch zu energischem Protest konnten sich seinerzeit weder die Schweiz, noch Belgien, Frankreich oder gar das postfranquistische Spanien aufraffen. Pinochet firmierte als ein Mann des Westens, der eine linke Regierung gestürzt hatte, die im Lateinamerika der siebziger Jahre unter keinen Umständen Schule machen sollte. Das zählte - nicht allein, aber vor allem anderen. Der fanatische Antikommunismus des Vollstreckers in Santiago konnte sich bis in die achtziger Jahre hinein der freundlichen Toleranz sämtlicher US-Regierungen sicher sein - ob die Präsidenten nun Nixon, Ford, Carter oder Reagan hießen. Das erfüllte politisch gesehen den Tatbestand der Kollaboration - in juristischer Hinsicht den der Beihilfe zum Mord.

Wer sich heute in Sachen Pinochet auf die Unbestechlichkeit des Rechts und die Unabhängigkeit der Gerichte beruft, sollte damit nicht jenen politischen Opportunismus pflegen, der einen Pinochet erst ermöglichte.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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