Schwerer Kollateralschaden

Abschuss Was schon vermutet wurde, ist nun klar: Die kriegerische Konfrontation USA-Iran hat erstmals zivile Opfer unbeteiligter Staaten gefordert
Rettungskräfte an der Absturzstelle am 8. Januar 2020
Rettungskräfte an der Absturzstelle am 8. Januar 2020

Foto: -/AFP via Getty Images

Krisenregionen sind seit jeher Risikozonen für die zivile Luftfahrt. Doch hat es mit dem Abschuss und Absturz der ukrainischen Passagiermaschine bei Teheran noch einmal eine besondere Bewandtnis. Die 176 Toten von Flug PS752 der Ukraine International Airlines, deren Maschine Minuten nach dem Start brennend aus den Wolken fiel, wurden zu Opfern des am Rande eines großen Schlagabtauschs wandelnden Konflikts zwischen den USA und dem Iran. Damit freilich sind die Ursachen dieser Katastrophe unzureichend beschrieben. Was am 8. Januar am frühen Morgen geschah, war auch eine alles andere als zufällige Folge der von Präsident Trump zusätzlich geschürten Spannungen, wie sie durch den Anschlag auf den iranischen General Soleimani ausgelöst und offenkundig gewollt wurden.

Selbstredend besteht zwischen direkten Tätern und mittelbaren Verursachern ein Unterschied. Doch ist der mehr juristischer als politischer Natur. Unbestreitbar ist: Eine seit der Kündigung des Atomvertrages auf der Schwelle zur kriegerischen Konfrontation wandelnde Feindschaft fordert erstmals zivile Opfer unbeteiligter Staaten. Es mag zynisch klingen, ist aber mitnichten so gemeint, wird dafür der Begriff „Kollateralschaden“ bemüht. Wie oft werden die als logische Selbstverständlichkeit unberührt hingenommen, wenn durch kriegerische Handlungen Menschen im Irak, in Syrien, im Jemen oder in Libyen zu Hunderten oder Tausenden sterben?

Mehr diplomatischen Schneid

Führende EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich, Italien und – noch – Großbritannien sollten sich veranlasst sehen, der Iran-Politik der Trump-Administration nicht länger mit einer Diplomatie wirkungsloser Deklarationen zu begegnen. Der Ernst der Stunde verlangt eine konzertierte Aktion, mit der klar verurteilt wird, was nicht mehr hinnehmbar ist. Dies wird jedoch nur dann Eindruck und Wirkung hinterlassen, sind Russland und China einbezogen. Das Treffen zwischen Kanzlerin Merkel und Präsident Putin an diesem Wochenende bietet die Gelegenheit, sofern sich die deutsche Seite entschließt, mit Russland einen Partner anzuerkennen, der – weil er im Nahen Osten wieder ein Machtfaktor ist – für Deeskalation sorgen kann. Den russischen Interessen im Iran wie in Syrien kommt das allemal entgegen. Nur muss man dies nutzen und nicht bekämpfen wollen.

Seitdem die Iraner eingeräumt haben, dass ihre Luftabwehr die Boeing 737-800 abgeschossen hat, muss die Frage erlaubt sein, ob nicht sämtliche Luftfahrtgesellschaften Flüge in den und aus dem Iran längst hätten stornieren oder umleiten müssen. Spätestens in dem Augenblick, als Donald Trump verkündet hatte, sollte es eine militärische Reaktion des Iran auf das Soleimani-Attentat geben, würden die USA zurückschlagen.

Die Entscheidung über eine Flugroute trifft die jeweilige Fluggesellschaft selbst, gestützt auf aktuelle Sicherheitsanalysen zu durchquerender Luftkorridore. Zudem liefert die Flugüberwachung von Luftfahrtorganisationen wie der International Air Transport Association (IATA), der International Civil Aviation Organization (ICAO) und Eurocontrol ständig ihre Gefahreneinschätzungen ab. Und die konnte zuletzt beim Iran schwerlich so ausfallen, dass man guten Gewissens dessen Luftraum nutzen konnte.

Menetekel MH17-Flug

Spätestens seit dem Abschuss der Malaysia-Airlines-Maschine MH17 über der Ostukraine am 17. Juli 2014, als 298 Tote zu beklagen waren, muss immer wieder von Neuem hinterfragt werden: Wann darf ein Konfliktgebiet überflogen werden, wann birgt das zu große Gefahren? Sollte man sich für Ausweichrouten entscheiden, auch wenn das die Kosten einer Fluggesellschaft erhöht? Bis zum durch eine Buk-Boden-Luft-Rakete herbeigeführten Abschuss von MH17 gab es im Luftraum über der Region Donezk in nur einer Woche den Abschuss von 20 Helikoptern oder Transportmaschinen, die natürlich in viel niedrigeren Höhen unterwegs waren als die Boeing 777-200ER der Malaysia Airlines.

Doch war das seinerzeit mehr als nur ein Indiz dafür, dass es im Sommer 2014 im Donbass heftige Kampfhandlungen gab, die eben nicht nur am Boden stattfanden. Der Luftraum über Donezk war eben deshalb bis zu einer Höhe von 32.000 Fuß (9,7 Kilometer) gesperrt, die malaysische Maschine bewegte sich bei 33.000 Fuß (10 Kilometer), also nicht weit darüber. Das soll nichts rechtfertigen und nicht entschuldigen, dass mutmaßlich Militärs der abtrünnigen Region die Verantwortung für das MH17-Inferno tragen. Aber hätte es das geben müssen, wäre Malaysia Airlines der Praxis anderer Fluglinien gefolgt, die seit Beginn des bewaffneten Konflikts in der Ukraine im Februar/März 2014 auf Ausweichrouten wechselten?

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen.

Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zur Wochenzeitung Freitag. Dort arbeitete es von 1996-2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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