Ende Oktober 2008 hatte sich Kuba nach fünfjähriger Abstinenz wieder mit der EU versöhnt, die Wiederannäherung solle bis zur Normalisierung vorangetrieben werden, hatten EU-Kommissar Louis Michel und Außenminister Roque in Havanna erklärt. Mit Normalität in den Beziehungen zu den USA sei in absehbarer Zeit nicht zu rechnen, gibt hingegen Präsident Raul Castro in Santiago zu verstehen, wo Kuba gerade den 50. Jahrestag der Revolution feiert. Dass sich die kubanische Führung keinerlei Illusionen hingibt, es könnte einen Wechsel in der amerikanischen Kuba-Politik geben, ist nach einem halben Jahrhundert der Feindschaft und Blockade nachvollziehbar. Es wäre auch mit einem Politikwechsel allein nicht getan. Die Gräben zwischen beiden Staaten sind so tief, dass nur eine Wende wirklich helfen könnte.
Nichtsdestotrotz wird Barack Obama der erste Präsident seit 1992 sein, der den Hardlinern der kubanischen Exilgemeinde nichts schuldet. Er hatte bei seinen Wahlkampfauftritten in Florida dafür geworben, die Sanktionen gegenüber der Insel zu lockern, während John McCain dafür plädierte, es solle alles so bleiben, wie es ist, und die Exilgemeinde davon absehen, Angehörige auf der Insel zu besuchen oder ihnen Geld zu schicken.
Obama hat damit das Argument widerlegt, ein Präsidentschaftskandidat könne weder Florida gewinnen noch ins Weiße Haus einziehen, ohne die Castros nach allen Regeln der Denunziation zu verdammen. Vielleicht ist nun wirklich Schluss damit, dass ein elitärer, allein auf seinen Vorteil bedachter Zirkel von Extremisten die amerikanische Kuba-Politik über Gebühr beeinflusst. Auf jeden Fall verfügt Barack Obama über mehr Freiheiten, die Politik der USA gegenüber Kuba einer Inventur zu unterziehen als jeder andere Staatschef seit James Carter in den späten Siebzigern. Er hat angedeutet, zu einem Gespräch mit Raul Castro bereit zu sein. Die Offerte kommt einer Zäsur gleich, kein US-Präsident hat sich in den vergangenen 50 Jahren jemals dazu durchgerungen.
Aber was kann Obama tatsächlich bewirken? Das Totalembargo gegen Kuba regeln mehr als 200 Gesetze, die nur vom Kongress oder vom Weißen Haus oder von beiden gemeinsam annulliert werden können. Die Dekrete beziehen sich nicht allein auf den Handel oder mögliche Investitionen von US-Unternehmen auf der Insel, sie verbieten Drittländern den Warenaustausch mit Kuba, die Ausfuhr von Medikamenten oder die Vergabe von Krediten. Nach kubanischen Angaben sind dem Land dadurch seit 1961 materielle Schäden von etwa 100 Milliarden Dollar entstanden. Verständlich, dass Raul Castro skeptisch bleibt, wenn er das amerikanisch-kubanische Verhältnis nicht als Prophet, sondern als Realist beurteilt. Was momentan am ehesten denkbar scheint: Das Weiße Haus könnte nach dem 20. Januar, dem Amtsantritt Obamas, Ausnahmeregelungen erlassen, die es Geschäftsleuten ermöglichen, wieder Handel zu treiben und in der Ölförderung und der touristischen Infrastruktur Kubas zu investieren. Und wenn der Ball erst einmal ins Rollen kommt, könnte er nicht mehr aufzuhalten sein. Wie würde Kuba einen „Wandel durch Annäherung“ verkraften?
Sozialpolitisch hat die Revolution Kuba vorangebracht, im Vergleich mit fast allen anderen lateinamerikanischen Ländern schneiden das Bildungs- und Gesundheitswesen – trotz der Einbrüche, die es auch hier in der so genannten Spezialperiode der frühen neunziger Jahre gab – noch immer glänzend ab. Die Kindersterblichkeit ist niedriger als in den USA. Die Abwanderung in die Städte mit ihren besseren Verdienstmöglichkeiten, aber auch die Folgen der Hurrikans im August und September 2008 haben dazu geführt, dass derzeit etwa die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche brachliegt mit schmerzhaften Folgen für die Versorgung.
Gewiss, der Jubel des 1. Januar 1959 ist verflogen, als Fidel Castro über Radio Rebelde verkünden konnte, die „Tyrannei ist gestürzt“ und die kubanische Revolution zum Leuchtturm für die Unterdrückten in Lateinamerika – in der III. Welt überhaupt – wurde. Sie geriet bald in den Sog des Kalten Krieges und der Ost-West-Konflikts. Dennoch hat es die Karibik-Republik unter Führung der Castros 50 Jahre lang fertiggebracht, dem großen Erzfeind im Norden zu widerstehen, trotz all der Mordanschläge, Interventionsversuche und -drohungen. Das bleibt Verdienst und Vermächtnis zugleich, was immer auch in naher Zukunft geschehen mag. Fidel Castro hat bis zuletzt eine Mehrheit seines Volkes inspiriert, ihm zu folgen. Für ihn waren die Formeln Patria o muerte und socialismo o muerte so alternativlos gemeint, wie sie klangen. Aber mit revolutionären Ethos allein lässt sich nur schwer überleben. Dies gilt nicht erst seit den neunziger Jahren, in denen Kuba mit existenzieller Not dafür büßen musste, dass es die Sowjetunion nicht mehr gab. Über Nacht entfiel jede, aber auch jede Alimentierung der kubanischen Ökonomie, die darauf nicht vorbereitet war. Auf Schockstarre folgte der freie Fall, der sich erst nach Jahren aufhalten ließ. Die Kubaner hatten in dieser Zeit kaum für möglich gehaltene Entbehrungen zu ertragen.
Der in Havanna lebende Schriftsteller Leonardo Padura lässt in seinem 2005 geschriebenen Roman Der Nebel von gestern eine seiner Figuren über die Sehnsucht nach Ruhe und die „historische Ermüdung“ sagen: „Die jungen Leute sind es müde, außergewöhnlich zu sein, historisch, überlegen. Sie sehnen sich nach Normalität.“ Ob Kuba in den kommenden Jahren von Normalität gesegnet oder eher davon gezeichnet sein wird, wenn es sich soweit verändert, dass die zurückliegenden 50 Jahre von gelebter Vergangenheit zu überwundener Geschichte werden? Spekulationen sind müßig. Eines jedoch steht außer Frage, Lateinamerika, hat sich seit 1959 radikal gewandelt. Ohne Kuba wäre das undenkbar gewesen.
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