Sein oder Siechen

Bundestagswahl Die Machtmaschine CDU ist ins Stottern geraten wie noch nie. Dieses Wahlergebnis geht an die Substanz der Partei
Überzeugen konnte Armin Laschet nie, darin blieb er sich bis zum Gang an die Wahlurne treu
Überzeugen konnte Armin Laschet nie, darin blieb er sich bis zum Gang an die Wahlurne treu

Foto: Imago/Frank Ossenbrink

Was bleibt von der CDU, wird sie zum streunenden Schatten ihrer selbst? Nach diesem Ergebnis dürfte ihr der temporäre oder länger andauernde Zerlegungsmodus nicht erspart bleiben. Der Aderlass bei dieser Bundestagswahl fällt so üppig aus, dass es der Partei wie kaum je zuvor an die Substanz geht. Dabei erscheint es zunächst zweitrangig, dass eine Regierungsbeteiligung unter Umständen – vielleicht sogar die Führung eines Bundeskabinetts – theoretisch möglich bleibt. Doch wird sich die SPD nehmen lassen, was sie erreicht hat, und der Union die Kanzlerschaft überlassen?

Es wird dauern, bis Klarheit herrscht, was sich von diesem CDU/CSU-Ergebnis von 24 bis 25 Prozent laut der Prognosen eventuell in Regierungsverantwortung überführen lässt. Schaut man auf die Bundestagswahl von 2013, dann hat sich das Resultat der Union, gemessen an den seinerzeit noch ansehnlichen 41,5 Prozent um etwa 15 bis 16 Prozent reduziert. Vor vier Jahren bereits verbuchte die Partei mit 32,9 Prozent ihr schlechtestes Abschneiden seit 1949.

Stets auf dem Sprung

Die Verluste verdienen und brauchen den historischen Vergleich. Als CDU/CSU bei der Bundestagswahl 1969 gegen Willy Brandts SPD und Walter Scheels FDP antraten, blieben sie mit 46,1 Prozent stärkste Kraft und scheiterte am sozialliberalen Koalitionswillen allein wegen fehlender 18 Mandate. Was man als Opposition aufzubieten hatte, ließ den Anspruch begründet erscheinen, die Regierung Brandt/Scheel vor sich hertreiben zu können und aus dem Stand regierungsfähig zu sein.

Als Helmut Kohl 1998 abdanken musste, kamen für die Union noch 35,1 Prozent zustande, auch wenn der Abstand zur SPD mit ihren 40,9 Prozent erstaunlich war. Wiederum fand die Regeneration in der Opposition auf dem gesicherten Plateau einer politischen Machtreserve statt.

Was am 26. September 2021 eingetreten ist, lässt solcherart Regeneration nicht mehr zu. CDU/CSU ereilt europäische Normalität, wie sie west- und südwärts längst üblich ist, man denke an die Gaullisten des RPR in Frankreich oder die Democrazia Cristiana (DC), von 1945 bis 1993 die wichtigste Partei Italiens.

Gemessen daran wird der Union entgegen der befürchteten 20 oder 21 Prozent noch ein Abstieg zuteil, der nicht zum Totalabsturz wurde, weil ein standesbewusster bürgerlicher Mittelbau ein Auffangbecken war.

Subversiver Maulwurf

Dennoch, die Machtmaschine CDU ist schwer ins Stottern geraten und außer Takt. Und das ist die eigentliche Zäsur. Denn Angela Merkel schätzte den Machtapparat CDU erkennbar mehr als die konservative Programmpartei westdeutscher Herz-Jesu-Honoratioren von Flensburg bis Idar-Oberstein. Kein Zufall, dass sie auf manchem CDU-Parteitag wie der Gast auf der eigenen Party wirkte. Ihr pragmatischer Zugriff auf die Partei basierte auf einer jederzeit gesicherten Kanzlerschaft, bei denen die wechselnden Koalitionen seit 2005 mehr Beiwerk als Ballast bedeuteten.

So konnte Merkel durchsetzen, wovon sie nicht immer überzeugt schien, was sie aber für geboten und opportun hielt: den Atomausstieg, den Verzicht auf die Wehrpflicht, die Preisgabe des Privilegs von Heterosexuellen, Ehe schließen zu dürfen, ihr konfrontatives Verhältnis zu Russland usw.

Diese Wetterwarte des „Woher der Wind weht“ ist nun geschlossen. Seit sich das durch Merkels Absage an eine fünfte Amtszeit abzeichnete, musste eine personelle Erneuerung vorrangig die Frage beantworten, wie es nach 16 Jahren eines weitgehend instrumentellen Umgangs mit der CDU nicht als politischer, sondern gesellschaftlicher Kraft weitergehen sollte. Weder Annegret Kramp-Karrenbauer, noch Friedrich Merz, noch Armin Laschet waren zu überzeugenden Antworten in der Lage. Mit Markus Söder als Nicht-CDU-Kanzlerkandidat hätte sich eine Klärung zumindest aufschieben lassen.Um sie gegebenenfalls aus einer Position der Stärke im Land und in der Bundesregierung heraus vornehmen zu können. Das wurde verspielt und ist nun verpasst.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

Lutz Herden

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