Selbsttäuschung statt Selbstfindung

EU-Ost Die EU gründet eine neue Ost-Partnerschaft, in der sie erstmals nur postsowjetische Staaten versammelt, aber Russland ausspart. Der Ärger mit Moskau ist programmiert

Man stelle sich vor, als Berater von Präsident Obama vor die Frage gestellt zu sein, wie den Europäern mehr Wohlverhalten gegenüber den USA abzuringen ist. Da könnte die Empfehlung an das Weiße Haus naheliegend sein, sich auf die EU zu konzentrieren und diese dort zu schwächen, wo sie zu schwächen ist. Etwa durch ein vehementes Plädoyer für die EU-Aufnahme der Türkei. Oder durch den Rat zu einer erneuten Osterweiterung der EU, nachdem klar ist, dass die Beitrittsrunden von 2004 (mit acht Staaten aus Osteuropa) und 2007 (mit den Debütanten Rumänien/Bulgarien) die erhoffte Politische Union gekostet haben. Insofern scheint die Annahme nicht völlig aus der Luft gegriffen, dass Washington mit Wohlwollen den gerade in Prag stattfindenden Gründungsgipfel einer „EU-Ost-Partnerschaft“ mit der Ukraine, Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Moldawien und Belarus quittiert. Denn wer eine solchen Bund nach der Formel bestückt: EU plus sechs mal Ex-Sowjetunion ohne Russland, der sucht Krach mir Moskau und verzichtet auf die Vorteile einer europäischen West-Ost-Partnerschaft mit der Russischen Föderation. Der verliert im transatlantischen Verhältnis an Gewicht.

Von Armenien bis Georgien

Was soll in Prag geschehen? Unter dem Patronat des EU-Ratspräsidenten Tschechien kommt es zu einem Treffen, dessen Botschaft in etwa lautet: Die – im Prinzip – versprochenen EU-Aufnahmen von Kroatien, Mazedonien, Montenegro und Albanien müssen über einen längeren Zeitraum gestreckt werden als bisher gedacht. Die Europäische Union ist nicht in der Verfassung, sich weiter auszudehnen. Die Grenzen der Erweiterung sind erreicht. Ganz abgesehen davon, das mit den neuen Mitgliedsstaaten auch neue Krisenstaaten herein strömen.

Das bedeutet wiederum, dass die Beitrittswilligen einer ganz anderen Kategorie sich um so mehr in Geduld fassen müssen. Gemeint sind die bereits genannten postsowjetischen Staaten von Armenien bis Georgien. Um ihnen die unvermeidliche Warteschleife zu versüßen, werden mit der in Prag eingeläuteten "EU-Ost-Partnerschaft" Staaten aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) an die EU gebunden wie nie zuvor. Ohne Zweifel ein Vorgehen, um besonders die Ukraine und Georgien bei Laune halten. Die deutlich über ihre Verhältnisse lebenden Führungen in Kiew oder Tiflis wollen für ihren konfrontativen Kurs gegenüber Russland über die Rhetorik des generösen Schulterklopfens hinaus politisch belohnt sein.

Was die EU mit der neuen Partnerschaft den sechs Ländern zuerkennt – unter anderem Freihandel und die erleichterte Erteilung von Visa – ist wiederum so neu nicht und sehr auf den symbolischen Effekt bedacht. Die EU hält es offenkundig für wünschenswert, dass sich auch Länder wie Weißrussland und Moldawien beim Umbau ihrer Gesellschaften weniger an Moskau und mehr an Kiew halten. Es ist wirklich superb, hier ein Exempel auszurufen, das dadurch besticht, seit der Orangenen Revolution von einer Regierungskrise zur nächsten zu gleiten. So werden Maßstäbe gesetzt, auch wenn die Fragwürdigkeit eines solchen Tross-Führers für pontenzielle Russland-Dissidenten außer Frage steht. Aber die provokative Geste gegenüber Moskau scheint verlockend. Verlockender zumindest als eine auf Interessenabgleich gerichtete Partnerschaft. Dabei weiß man gerade in Brüssel genau, wer zu Beginn des Jahres an den Sperren der Gaspipelines von Russland nach Westeuropa spielte. Nur wird die Erpressung durch das Transitland Ukraine in Kauf genommen, wenn der Imageverlust für Gasprom, den russischen Gaskonzern und EU-Hauptlieferanten, dafür entschädigt.

Kleinkarierte Scharmützel

Die EU wollte mit den Maastrichter Verträgen Anfang der neunziger Jahre als Politische Union so etwas wie europäische Selbstbestimmung im transatlantischen Verhältnis vorantreiben. Geblieben von diesem politischen Anspruch ist nicht viel mehr als die politische Instrumentalisierung der Union, die sich in kleinkarierten Scharmützeln mit Russland gefällt. Nach den Osterweiterungen sollte es für die Europäische Gemeinschaft eine Pause zur Selbstfindung geben. Daraus geworden ist ein Hang zur Selbsttäuschung – im Verhältnis zu Osteuropa ebenso wie zu Russland. Sehr zur Freunde der Beobachter in Washington.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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